Editorial: Ästhetik des Politischen – eine haarige Sache

Barbara Naumann

Im Englischen fällt es leicht, durch Integration von „middle names“, von eingefügten Spitznamen, bündige Personencharakteristiken zu konstruieren. Besonders in den USA wird davon reichlich Gebrauch gemacht. Man denke etwa an den Basketballspieler Michael „Air“ Jordan oder an den Musiker Johnny „Guitar“ Watson. So konnte man auch die Geliebte des amerikanischen Präsidenten gelegentlich bezeichnet finden als Monica „Big Hair“ Lewinsky. Das in den Namen integrierte körperliche Merkmal erzielte eine dichte Beschreibung, die das Faszinierende und oder auch nur Auffällige dieser weiblichen Figur mit ihrer politischen Rolle als Geliebte des Präsidenten zusammenband und so die Schwelle zur Karikatur wenn nicht überschritt, so doch deutlich machte. Bemerkenswert war darüber hinaus, daß in der Charakteristik von „Big Hair“ Lewinsky die traditionelle Dichotomie von Privatheit und Öffentlichkeit, also etwa von privater Frisur und politisch relevanter Handlung, unterlaufen wurde. Spätestens als dann eine Reihe von Fotos dokumentierte, daß sich auch die früheren Geliebten des amerikanischen Präsidenten auf die eine oder andere Weise stets durch „big hair“ auszeichneten und damit auch „big hair“ waren, wurde erstens eine Begehrensstruktur des Präsidenten sichtbar, zum zweiten aber – und dies ist hier ungleich wichtiger – war die Ästhetik des politischen Haars in aller Munde. Hillary Clinton, die Ehefrau, fiel auffällig aus dem etablierten präsidialen Begehrensmuster heraus. Dies ließ sich deutlich an ihrem Haar ablesen; ob es sie kürzer oder länger, heller oder dunkler getönt besser kleidete, waren Aspekte, die in den Medien eher dezent diskutiert wurden. Daß ihr Haar feiner war und daher nicht Objekt des Begehrens durch den moralisch zweifelhaften Ehemann sein konnte, trug aber symbolisch dazu bei, der Ehefrau politische Integrität zuzugestehen. Wie man weiß, paßte dies gut in das Projekt der politischen Karriere, die Hillary Clinton bis heute erfolgreich ausbaut, während etwa Monica Lewinskys Haar wieder ganz fernab vom politischen Geschehen sprießt.

Vergleicht man diese Szenerie mit Inszenierungen weiblicher politischer Macht vergangener Jahrhunderte – etwa mit den Porträts Katharina der Großen oder Maria Theresias, dann zeigt sich, daß die Darstellung prächtigen Haars – in diesem Fall: der kunstvoll getürmten Perücke – auch dort zur Ikonographie weiblicher Macht gehörte. Der Zusammenhang von Macht und Haar wurde am Prunkbau der Perücke sichtbar. Nur selten ließen die Herrscherinnenporträts einen Zweifel daran, daß Macht und Wissen, Größe und Einfluß durch ästhetisch anspruchsvolle Gesten darzustellen seien. Anekdoten und Legenden, die um die Herrscherinnen rankten und die als ein sprachlicher Machtausweis anzusehen sind, wie das Porträt als der ikonographische, bildeten die Regentinnen vor allem als sexuell und erotisch dominante Wesen ab. Potenz und Kondition der russischen Zarin waren sprichwörtlich und Angst einflößend; die unzähligen Kinder der Österreicherin ließen die Untertanen immer wieder über die schier unendliche körperliche und sexuelle Stabilität der Regentin staunen. Als Allegorien der vernichtenden oder stabilisierenden politischen Macht, Vertrauen erweckend oder Furcht, funktionierten diese körperlichen und sprachlichen sexuellen Porträts nicht unähnlich denen männlicher Herrscher. Sie stellten sämtliche Aspekte des Körpers in den Dienst der Machtdarstellung. Der Körper der Herrscherin konnte daher sexuelle Kraft wie politische Macht darstellen. Das Kind fungierte als deren Indikator wie die Perücke; sie stellten den absoluten Anspruch der Macht zur Schau, der selbstgewiß und keiner Rückfrage und keinem Zweifel preisgegeben war und sich deshalb nicht darum kümmern mußte, Lesbarkeit für alle zu erzeugen.

Im Unterschied etwa zur Barockzeit rühren heute ästhetische Aspekte des Politischen daher, daß in der medialen Vielfalt und Zerstreuung Erkennbarkeit und Lesbarkeit erzeugt werden müssen. Dies geschieht auch im egalitären Diskurs – jenseits aller politischen Programmatik – durch die Hinwendung zum signifikanten Detail, das sogar ein fetischistisches Attribut der Person sein kann. Ein solches Detail ist das Haar der Herrscher, denn es ist der Beobachtung durch die Kameras und der alltäglichen Observanz der Zuschauer besonders leicht zugänglich. Man denke an Margaret Thatchers oder Hannelore Kohls „Betonfrisuren“, an das getönte Haar Ronald Reagans oder das ostentativ nicht getönte des Kanzlers, an Frau Merkels merkliche Frisurbemühungen in Zeiten des Wahlkampfs – an der Auseinandersetzung um die symbolische Ordnung des politischen Haars läßt sich zeigen, wie stark die symbolische Ordnung des Politischen durch seine Inszenierungen, auch die nicht intendierten, den Begriff der Politik bestimmen kann. In den Inszenierungen aber spielen phantasmatische und fiktionale Elemente eine große Rolle. Letztlich beeinflussen sie die Form der Darstellung der Politik und damit ihre Lesart. Das Haar der Herrscher zeigt selbst noch im gegenwärtigen egalitären Diskurs die politikmächtige Wirkung der Inszenierung und der Fiktion.

Die hier versammelten Aufsätze verfolgen Momente der Ästhetik des Politischen an verschiedenen Beispielen aus der Architektur, der bildenden Kunst, der Mode und der populären Kultur. Sie machen erkennbar, daß die These, die Performanz habe die Politik völlig aufgesogen oder überschrieben, nicht nur historisch zu kurz greift, sondern auch in bezug auf die Gegenwart. Die Beiträge untersuchen die Selbstdarstellungen der Politik und die von ihr produzierten ästhetischen Effekte vielmehr als Indikatoren des Politischen insofern, als sie Resultate eines Zwangs der Sichtbarkeit und Lesbarkeit sind. Die Wirkungsweisen und Brechungen der Macht unterliegen nicht zuletzt durch gravierende Veränderungen im Geschlechterverhältnis neuen Formen der Ästhetisierung, denn diese Veränderungen verflüssigen und verschieben auch die Formen der Repräsentation von Macht. Die Bilder und Selbstbilder, die Gebäude und die (Kleider-)Moden, die visuellen und rhetorischen Ausstellungen der politischen Macht fungieren auch im Rahmen einer Ästhetik des Politischen; sie kommen in diesem Heft in den Blick.

An Peter Körte geht der herzliche Dank von Herausgeberin und Redaktion für die Gastedition des Heftes und die Übersetzung des Artikels von Slavoj Žižek. Für die Unterstützung dieses Heftes bedanken wir uns wie stets bei der UniFrauenstelle – Gleichstellung von Frau und Mann an der Universität Zürich.


Zürich, im Oktober 2002

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