Editorial
frauen und recht - women and law widmet sich einem Thema von erheblicher Brisanz. Zu der Reihe von Fragen, die dieses Heft der figurationen aufgreift, gehören unter anderem: Gibt es eine geschlechtsspezifische Gerechtigkeit? Ist es überhaupt ratsam, den Bezugs eines Geschlechts zum Recht zum Sonderfall zu machen? Ist die Ungleichheit in den Lebensverhältnissen der Geschlechter selbst bedeutsam genug, um geschlechterdifferente Ausprägungen des Rechtsbegriffs zu legitimieren? Oder liegt nicht vielmehr ein grundsätzlicher Zug von Recht und Gerechtigkeit darin, dass es für alle, gleich welchen Geschlechts, welcher Ethnie, welcher Klasse etc. gelten soll? Zu welchen Konsequenzen müsste ein gender-sensitives Recht führen?
Die Frage nach dem Verhältnis von Frauen und Recht entzündet sich häufig an Brennpunkten der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Schon aus diesem Grund löst sie auf allen Seiten große Empfindlichkeiten hinsichtlich ihrer politischen, ethischen und sogar ästhetischen Konsequenzen aus. Die Notwendigkeit, den aktuellen Zusammenhang von „Frauen und Recht“ in grundsätzlicher Hinsicht zu reflektieren, hat figurationen veranlasst, die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, Frau Professor Jutta Limbach, um einen Beitrag zu bitten. Wir freuen uns außerordentlich, dass wir sie dafür gewinnen konnten.
Es ist nicht leicht, jedoch legitim und auch notwendig, jenseits der Tagesaktualitäten etwa von Wehrdienst-, Abtreibungs- oder Pornographiedebatten dorthin zu blicken, wo sich weitergehende historische und kulturelle Bezüge entdecken lassen. Nicht erst seit Foucaults und Derridas Ausführungen weiß man, dass die Regelung von gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen durch das Recht immer auch ein gewisses Maß an unaufgedeckten Vor-Urteilen transportiert. Die Blindheit der Justitia bezieht sich nicht nur auf die Anwendung, sondern auch zu einem bedenklichen Stück auf die diskursive Entwicklung des Rechts. So werden die Debatten um das Verhältnis von Weiblichkeit und Recht nicht zuletzt deshalb mit großer Härte und Verve geführt, weil sie stets post festum stattfinden; weil immer schon etwas der Fall oder ein Fall ist, mit anderen Worten: weil Parteien sich bereits entzweit haben, wenn das Denken der Rechtsgelehrten einsetzt.
Da die Frage nach möglichen geschlechtsspezifischen Aspekten des Rechts nahezu alle Bereiche der Lebens- und Arbeitswelt (aller Geschlechter) berührt, wird ihr generell große mediale Aufmerksamkeit zuteil. Zugleich aber ist mit der Frage nach geschlechtsspezifischen Aspekten von Recht und Macht ein Nachdenken über die Geschichte und ihre symbolische Ordnung überhaupt gefordert –, und dies verleiht ihr übergreifende Bedeutsamkeit. In diesen Kontext gehören solche „heißen Eisen“ wie die mögliche Zulassung von Frauen zum Dienst an der Waffe in der Bundeswehr, die besondere Situation von Frauen im Asyl, die seit Jahrzehnten währende Diskussion um den Abtreibungsparagraphen, der Ruf nach Einschränkung der Pornographie, die Forderung nach einer verlässlichen Definition des „sexual harassment“ u.v.m. Mit Blick auf die kulturelle und symbolische Einbindung dieser Themen lässt sich erkennen, dass im Innern der Rechtsbestimmungen andere kulturelle Bestimmungen von Geschlecht und Politik hausen, die das, was als Recht Geltung beansprucht, als komplexes, in sich gespaltenes, aus vielfältigen historischen Bestimmungen erwachsenes Gebilde ausweisen. – Die hier zutage tretende Komplexität legt auch jenseits ihrer gemeinsamen hermeneutischen Tradition eine Affinität nahe zwischen dem rechtlichen und dem literarischen Diskurs, denn beide sind notorisch gekennzeichnet von einer kulturellen und historischen Überdetermination ihrer grundlegenden Begriffe. Recht und Literatur kommen darin überein, dass sie ihre geschichtliche Weiterentwicklung ihrer inneren Spaltung und Vielbezüglichkeit verdanken. Hier sei noch einmal an Heinrich von Kleist erinnert, dessen literarisches Sprachspiel um den „Fall“, den Zufall, das Gefallensein und den juristischen Fall (etwa im Zerbrochenen Krug oder im Erdbeben von Chili) einige wichtige Facetten der inneren Zerbrochenheit der Rechtsbegriffe entfaltet.
Selbstverständlich beansprucht figurationen nicht, einschlägige juristische Debatten wiederzugeben. Vielmehr soll die kulturwissenschaftliche und interdisziplinäre Vielfalt der Zugänge zum Verhältnis von Frauen und Recht so erfasst werden, dass der grundsätzliche Charakter ihrer Begründungszusammenhänge deutlich wird und die Ausstrahlungskraft, die rechtliche Fragen in andere wissenschaftliche Disziplinen und in die Alltagskultur hinein besitzen.
Dass die gegenwärtigen Debatten um Frauen und Recht mitunter zu einem erbitterten Streit geworden sind, zeigt besonders die Auseinandersetzung um essentialistische Positionen des sogenannten „radical feminism“. Als eine Vertreterin dessen kommt hier Catharine MacKinnon mit einem essentialistisch argumentierenden Artikel zu Wort. Sie wird in diesem Heft von Autorinnen wie Ngaire Naffine und Nicola Lacey einer kritischen Analyse unterzogen. Die Position MacKinnons wird hier erneut zur Diskussion gestellt – nicht zuletzt deshalb, weil nachgefragt werden muss, ob ihre Auffassung letztlich im Ruf nach einer zensierenden Kontrolle über Bilder des Weiblichen münde. Da figurationen sich aber argumentativer Offenheit verpflichtet fühlt, soll auch dieser radikale Pol der Diskussion um Geschlechterfragen im Recht erfasst werden.
Hannah Arendt hat in ihren Kommentaren zum Eichmann-Prozess wie auch in ihrem Buch über den Totalitarismus deutlich gemacht, dass die Frage nach dem Recht zugleich eine politische Frage ist. Arendt kommt zu einer Einsicht, die in jüngster Zeit noch einmal von Shoshana Felman[1] aufgegriffen und vertieft wurde, nämlich: Wo Geschlecht (und Ethnie) und Recht sich überschneiden, steht etwas zur Debatte, das umfassender ist als die Addition einzelner rechtlicher und politischer Begriffe, die die Legalität beschreiben. Genau daraus resultiert für Felman die kulturelle Symbolkraft solcher Prozesse wie beispielsweise dem gegen den schwarzen Footballspieler O. J. Simpson im Jahre 1995. Felman zeigt, dass Geschichte und Kultur in einem bestimmten Sinne eine „größere“ Rolle spielen als das Recht, da sie den inneren Bruch im Rechtsbegriff selbst deutlich zu machen vermögen. Es waren, Felman zufolge, nämlich kulturelle und politische Gründe, es war die Überkreuzung und Konkurrenz von ethnischer Zugehörigkeit und Geschlecht, die in jenem vielbeachteten Prozess zu einem Nicht-sehen-und–nicht-sagen-Können sowohl seitens der Geschworenen als auch des Angeklagten führten. Diese Blindheit, größer und wirkungsmächtiger als die rechtlichen Beweisführungen selbst, machte einen Abgrund im Gesetzesbegriff deutlich: Denn der Zugriff der Rechtsprechung muss dort enden, wo die Zeugenschaft, wo das Sagen-Können selbst in Frage steht. Rechtsbegriffe gelangen dort an ein Ende, wo der Abgrund inkommensurabler Kategorien sich öffnet. Das Strafrecht muss aber, hier nun in einer ganz anderen Zwangslage als die Literatur, positive Normen einsetzen, um Recht sprechen zu können, um den Abgrund („abyss“, Felman) des Unergründbaren zu überbrücken. Das Gesetz muss gegen Unregelmäßigkeiten und Desorganisation, gegen Zerstörung, sozialen Schaden etc. vorgehen und zwar:
unter dem praktischen Zwang, Verläßlichkeit und Gerechtigkeit herzustellen, versucht das Gesetz, dem Abgrund einen Sinn zu verleihen, seinen Schrecken zu verringern (...) indem es ihm einen Namen gibt, ihn kodifiziert oder ihn in seiner Realität in die verfahrenstechnischen Zusammenhänge eines Prozesses übersetzt.
Das Gesetz muss den Abgrund überbrücken und die Lücke schließen, die aufzuzeigen aber gerade eine der Aufgaben der Literatur darstellt.
Mit dem vorliegenden Heft frauen und recht – women and law beginnt für figurationen ein bemerkenswerter neuer Abschnitt. Dies ist das erste Heft unter der Regie einer Gasteditorin. Wir freuen uns außerordentlich, dass die Juristin Susanne Baer, Hochschulassistentin und Privatdozentin am Institut für Öffentliches Recht der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, diese Aufgabe übernommen hat.
Caroline Torra-Mattenklott und Corina Caduff sei herzlich für redaktionelle Mitarbeit gedankt, ebenso wie Anne-Kathrein Frey, die freundlicherweise Korrekturen der Manuskripte besorgt hat. Wir freuen uns sehr, dass Stefan Schreck wie hier, so auch in Zukunft die Gestaltung des Umschlags übernehmen wird.
Ab diesem Heft erscheinen figurationen unter dem Dach des Böhlau Verlages. Dies bedeutet für Sie, liebe Leserinnen und Leser, zunächst einmal nur, dass Bestellung und Vertrieb nun über die neue Adresse laufen; falls Sie figurationen bereits früher bestellt haben sollten, ändert sich praktisch gar nichts. Für die Redaktion beinhaltet die neue Verlagsadresse das Versprechen auf eine angenehme Zusammenarbeit in einem kongenialen Umfeld und die Zuversicht, dass die Zukunft der Zeitschrift in guten Händen liegt.
Der Dank der Herausgeberin und der Redaktion geht an die Hochschulstiftung der Universität Zürich für die freundliche Unterstützung des Jahrgangs 2000 von figurationen.
Zürich, im Juni 2000
[1] Shoshana Felman: „Forms of Judicial Blindness, or the Evidence of What Cannot Be Seen: Traumatic Narratives and Legal Repetitions in the O. J. Simpson Case and in Tolstoy’s The Kreutzer Sonata“. In: Critical Inquiry. Summer 1997, Vol. 23, No 4, 738-788.