Flirt als semiotische Krise bei Henry James, Thomas Mann, Jean Genet

Barbara N. Nagel

Wo verlĂ€uft die Grenze zwischen Flirt und sexueller BelĂ€stigung?‘, wird heute immer wieder gefragt. Zu flirten bedeutet eine Gratwanderung zwischen Zuviel und Zuwenig, wobei wir aktuell vor allem diskutieren, wann es zu viel wird und Flirt in sexuelle BelĂ€stigung umschlĂ€gt, im schlimmsten Fall Vergewaltigung. Im Internet hĂ€ufen sich die Ratgeberartikel, welche mal mit mehr, mal weniger Ironie vor allem den MĂ€nnern das ABC der feinen Unterschiede zwischen Flirt und BelĂ€stigung zu erklĂ€ren suchen. „But how do you know an advance is ,unwanted‘ until you try?“[1], provoziert Laura Kipnis; die Grenze zwischen Flirt und sexueller BelĂ€stigung sei keineswegs klar, weshalb zu flirten stets mit einem gewissen Risiko einhergehe. Zugegebenermaßen ist Flirt ohne Risiko undenkbar: Wir flirten mit dem Verbotenen und bewegen uns im besten Fall einem SeiltĂ€nzer gleich auf der Linie der Transgression, ĂŒberschreiten diese gleichwohl nie – sonst ist es aus mit dem SeiltĂ€nzer und aus mit dem Flirt.[2] Der Soziologe Georg Simmel spricht in seinem wegweisenden Essay Die Koketterie (1909) vom „Cachet des VorlĂ€ufigen, des Schwebens und Schwankens“, das den Flirt ausmache, „dies ist – logisch widersprechend, aber psychologisch tatsĂ€chlich – ihr endgĂŒltiger, nicht ĂŒber den Moment ihres Daseins hinaustragender Reiz“.[3]

Im Flirt geht es um PotentialitĂ€t statt um Aktualisierung nackter Tatsachen, weshalb, Simmel auf dem Fuße folgend, auch die Kritische Theorie Interesse am Flirt gezeigt und ihn theoretisiert hat – freilich im Modus der Utopie. „Schlimm ist, zu wenig und doch eben genau genug verfĂŒhrt zu werden“[4], beginnt das Denkbild Pippa geht vorĂŒber des Simmel-SchĂŒlers Ernst Bloch. Wie Bloch hat sich auch sein Freund Walter Benjamin weniger fĂŒr aggressives Flirten interessiert als fĂŒr den Aspekt des Entzugs im Flirt, was Baudelaire in À une passante (1855) lyrisch einfĂ€ngt mit den Ausrufen „trop tard! jamais peut-ĂȘtre!“, die Benjamin wiederum ĂŒbersetzt mit „zu spĂ€t! vielleicht auch nimmer?“[5] Ein Denkbild Benjamins liefert die Schulhof-Version von Baudelaires missed connection:

Das war die Luft, in der zum ersten Mal der Blick des Knaben einer VorĂŒbergehenden sich anzudrĂ€ngen suchte, wĂ€hrend er umso eifriger zu seinem Freund sprach. Und derart angestrengt war sein Bestreben, weder im Tonfall noch im Blick sich zu verraten, dass er von der VorĂŒbergehenden nichts sah.[6]

Was sich hier „anzudrĂ€ngen“ versucht, ist nicht mehr als ein Blick, der denn auch so diskret ausfĂ€llt, dass er unbemerkt bleibt und noch nicht einmal die passante zu sehen bekommt.

Die Kunst des Flirts liegt darin, eine Zeichensprache zu entwickeln, die eine Mittelposition findet zwischen dem Flirt, der in BelĂ€stigung, VerfĂŒhrung, Vergewaltigung umschlĂ€gt und jenem, der sang- und klanglos verpufft. Auf die Ebene der Rhetorik transponiert, von der auch beim Flirt alles abhĂ€ngt[7], geht es darum, die Regeln des aptum, des Angemessenen einzuhalten – d. h. „passend“ zu reden, „was ja die Hauptsache ist“[8], und das heißt nach Quintilian: die Situation richtig zu lesen und sodann angemessen auf sie zu antworten, damit im Fall des Flirts eine Replik erfolgt. Dabei ist der Flirt keinesfalls auf verbale Kommunikation beschrĂ€nkt: Wie in Benjamins Beispiel angedeutet, wird mit Blicken Kontakt gesucht, vieles teilt sich im Ton mit, zuweilen parallelisieren sich Körpergesten, vielleicht berĂŒhrt man einander leicht. Um die occasiorichtig einschĂ€tzen zu können, mĂŒssen wir in der Lage sein, die Körperzeichen, welche der oder die Flirtende sendet, zu deuten und unsererseits Zeichen zu geben, die nicht nur halbwegs lesbar sind, sondern deren Zeichencharakter sich auch diskret mitteilbar machen muss, damit der Flirt nicht erlahmt. Schließlich muss unser GegenĂŒber eine Ahnung oder zumindest den Verdacht haben können, dass wir flirten.

In diesem Essay geht es um die Relevanz solcher Zeichen fĂŒr den Flirt. Das Anschauungsobjekt ist die Literatur des Realismus und Modernismus – und das aus gutem Grund: Der Flirt spielt mit Zweideutigkeiten, und AmbiguitĂ€t stellt bekanntlich fĂŒr die Literatur (anders als z. B. fĂŒr die Naturwissenschaften) kein Problem dar, sondern ist konstitutiv fĂŒr die poetische Funktion. Der historische Rahmen von Realismus und Modernismus erklĂ€rt sich daraus, dass im Realismus Alltagskommunikation und kleine soziale Formen wie der Flirt ĂŒberhaupt erst darstellungswĂŒrdig werden. Im Anschluss an den Realismus ĂŒbernimmt es der Modernismus, die Mehrdeutigkeiten, die dem Flirt Leben einhauchen, in technischer und psychologischer Hinsicht genauer auszuleuchten (v. a. durch das Experimentieren mit ErzĂ€hlperspektive, Fokalisierung). Die Texte von Henry James, Thomas Mann und Jean Genet, die ich im Folgenden auf ihre Flirtsemiotik hin analysiere, haben miteinander gemein, dass sie zwei Fragen verhandeln: die epistemologische: An welchen Zeichen erkenne ich, dass ein Flirt stattfindet? und die reprĂ€sentationslogische: Wie flirte ich erfolgreich, d. h. auf angemessene Weise?

Die Konstellation James-Mann-Genet macht aber noch etwas anderes deutlich: Flirt hat immer etwas Queeres an sich. Die herrschenden Gender-Positionen und Gender-Hierarchien werden im Flirt kurzzeitig auf den Kopf gestellt, wie Simmel nicht ohne Schrecken feststellt, denn die Frau (Anfang des 20. Jahrhunderts) hat im Flirt die Entscheidungshoheit inne.[9] Das bedeutet eine zeitweise ‚Demokratisierung‘ der Positionen, die einander fĂŒr einen Augenblick paritĂ€tisch bzw. gleich werden: homo-. Dass diese queere Dimension des Flirts gerade auf queereSchriftsteller eine besondere Faszination ausgeĂŒbt hat und diese Autoren „the virtues [
] of being uncommitted“[10] besonders eindrĂŒcklich in Szene zu setzen wussten, ist nicht weiter verwunderlich. Doch die VerschrĂ€nkung von Flirt und Homoerotik reicht tiefer. Flirt und HomosexualitĂ€t teilen miteinander die Sprache der Konnotation – „la trace nommable, computable, d’un certain pluriel du texte“, erlĂ€utert Barthes allgemein und dann spezifischer: „SĂ©miologiquement, toute connotation est le dĂ©part d’un code (qui ne sera jamais reconstituĂ©), l’articulation d’une voix qui est tissĂ©e dans le texte.“[11] 

Bereits Anfang der Neunziger machte D. A. Miller in seinem Essay Anal Rope (1990) darauf aufmerksam, ReprĂ€sentation von HomosexualitĂ€t werde fast immer auf die berĂŒhmt-berĂŒchtigten Zeichen zwischen den Zeilen verbannt. Miller konstatiert, das homoerotische Begehren verstumme jedoch nicht einfach, stattdessen komme es zum dialektischen Umschlag, so dass plötzlich alles verdĂ€chtig queer erscheine: „[I]f connotation, as the dominant signifying practice of homophobia, has the advantage of constructing an essentially insubstantial homosexuality, it has the corresponding inconvenience of tending to raise this ghost all over the place.“[12] Der Flirt beruht auf demselben konnotativen Verfahren wie der homosexuelle Diskurs: Ja, ohne diese spezifische Form der Mehrdeutigkeit wĂ€re es nicht möglich, dass sich im Flirt der Andere zu jedem Zeitpunkt ohne ErklĂ€rung aus der Situation zurĂŒckziehen kann. So wie das homoerotische Begehren lange Zeit und vielerorts die Sprache des Flirts spricht, hat auch der Flirt immer eine homoerotische Dimension.


Henry James: Zu wenige Zeichen

Wer flirtet, ĂŒbt sich im Skeptizismus. Niemand hat das besser, niemand gnadenloser erkannt als Henry James. In James’ Novelle Daisy Miller (1879)[13] macht (bis zur ĂŒberarbeiteten New York Edition, 1909[14]) bereits der Untertitel A Study darauf aufmerksam, dass wir niemals nur flirten, sondern dass wir den Anderen studieren, testen, ihn prĂŒfen und nach Zeichen – besonders Körperzeichen – suchen, die uns die Situation erschließen und die Fragen klĂ€ren sollen: Was machen wir hier eigentlich? In Daisy Miller ist es ein junger Mann mit dem frostig-frigiden Namen ‚Winterbourne‘, der auf eine junge Frau, Daisy Miller, trifft und sich dabei verausgabt, sie lesbar machen zu wollen. Weil die Angst vor Bloßstellung groß ist, sollen anstelle eines laut-ausgesprochenen ‚Flirten wir?‘ Mikrobeobachtungen entscheiden, ob Daisy Miller mit ihm flirtet: Schenkt sie ihm Zeit und Aufmerksamkeit? Schaut sie auffallend lange zu ihm hin oder gar erstaunlich hĂ€ufig weg? Parallelisieren sich ihre Gesten in unbewusster Nachahmung? Allein, Daisy Miller bleibt opak.[15] Ihr Blick begegnet Winterbourne so unerhört unverstellt, ungeniert und offen („not exactly expressive“[16], wie Winterbourne enttĂ€uscht feststellt), dass er Zuflucht zu der Vermutung nimmt, wenn sie nicht kokettiere, so mĂŒsse das heißen, sie flirte, indem sie nicht flirte. Winterbourne mutet das unerhört forsch an! So forsch wie „a pretty American flirt“.[17] Die historisch-kulturelle Annahme, die dahinter steckt, ist, dass nordamerikanische Frauen nicht denselben Benimmregeln wie europĂ€ische unterstĂŒnden weshalb Mann sich mit amerikanischen Frauen ungeheuer frei unterhalten könne. Diese kulturelle Differenz vergrĂ¶ĂŸert zwar die Möglichkeit zum Flirt, erschwert aber zugleich die Interpretation der Zeichen.

Infolgedessen werden wir nie wissen, ob Daisy Miller mit Winterbourne geflirtet hat oder nicht.[18] Wir können mit Sicherheit sagen, dass Winterbourne versucht hat, mit ihr zu flirten, dass aber seine eher lahmen BĂ€lle nicht so pariert wurden, dass er sie hĂ€tte ĂŒbers Netz kommen sehen. Trotzdem bezeichnet Winterbourne Daisy Miller als „flirt“, eben weil sie mit ihm spricht, ohne zu flirten. In ganz Ă€hnlich widersprĂŒchlicher Weise hatte bereits Simmel 1890 in einem Essay ĂŒber die Psychologie der Frauen bemerkt, es gebe „Frauen, die sogar mit ihrer Koketterie kokettieren, wie es solche gibt, die es mit ihrer Nicht-Koketterie tun.“[19] Ihnen ist diese Aussage nicht ganz geheuer? Das könnte daran liegen, dass Simmel und Winterbourne Frauen ĂŒbersexualisieren (Frauen flirten stĂ€ndig, vor allem wenn sie nicht flirten) und ihnen zugleich jeden erotischen Willen absprechen. Simmel erwĂ€hnt in seinen Schriften zur Koketterie zwar die „Macht der Frau dem Manne gegenĂŒber“[20], beruhigt seine Geschlechtsgenossen jedoch anderswo, selbst die abgebrĂŒhteste Kokette sei zu arglos, um an etwas anderes zu denken als ans Flirten.[21] Bei so viel Unentschiedenheit ist es kein Wunder, dass Winterbourne (wie die meisten von James’ Anti-Helden) statt in seinen Avancen weiterzukommen, in passiver Beobachtung versandet:

He had a great relish for feminine beauty; he was addicted to observing and analyzing it; and as regards this young lady’s face he made several observations. It was not at all insipid, but it was not exactly expressive; and though it was eminently delicate Winterbourne mentally accused it – very forgivingly – of a want of finish.[22]

Die Formulierung „want of finish“ beschreibt treffend auch die TemporalitĂ€t des Flirts, der, wie es bei Bloch heißt, „nur AnfĂ€nge“[23] bietet. James setzt mit Daisy Millers Fiebertod seiner ErzĂ€hlung denn auch ein aggressiv-allegorisches Ende, wobei das OED unter den Substantiv-Verwendungen von finish „the ‚end‘ of a man“ anfĂŒhrt – sprich, Daisy steht der Tod gut zu Gesicht. Vor ihrem Tod spazierte Daisy Miller mit einem gut aussehenden italienischen Begleiter durch Rom, zuweilen ebenfalls begleitet vom zunehmend verwirrten Winterbourne, ohne dass irgendetwas Nennenswertes geschehen wĂ€re – endlos wie die Struktur des Flirts und deshalb unerzĂ€hlbar. Im unmittelbaren Kontext des Zitats meint der „want of finish“, von dem Winterbourne spricht, freilich malerische Perfektion oder bildnerische Geschmeidigkeit, womit sich der selbsternannte Schönheitsexperte Winterbourne in eine Pygmalion-Ă€hnliche Figur verwandelt; doch seine Statue will unter seiner Hand nicht recht nachgeben, bleibt kalt bis lauwarm, unberĂŒhrt:

[T]here had not been the slightest alteration in her charming complexion; she was evidently neither offended nor fluttered. If she looked another way when he spoke to her, and seemed not particularly to hear him, this was simply her habit, her manner. [
S]he gradually gave him more of the benefit of her glance; and then he saw that this glance was perfectly direct and unshrinking. It was not, however, what would have been called an immodest glance, for the young girl’s eyes were singularly honest and fresh. [
] He thought it very possible that Master Randolph’s sister was a coquette; he was sure she had a spirit of her own; but in her bright, sweet, superficial little visage there was no mockery, no irony.[24]

Winterbournes Flirtradar verzeichnet negative Körperzeichen: Errötung? negativ; Blick? zunĂ€chst abgewandt, doch habituell abgewandt – ergo ohne Flirtfaktor; Blick dann zugewandt, doch weder scheu noch aufreizend – ergo ohne Flirtfaktor. Kurz vor ihrem Tod lĂ€sst Daisy Miller Winterbourne durch ihre Mutter ausrichten, dass sie sich nicht, wie er meinte, mit dem italienischen Begleiter verlobt habe, sondern sich dieser Tage oft an den gemeinsamen Ausflug mit Winterbourne erinnere. Der bereut nun ‚seinen großen Fehler‘ und scheint der Ansicht, Daisy Miller habe nur auf eine ernsthafte Interessensbekundung seinerseits gewartet. Es ist Eve Sedgwick zu danken, dass sie auf die Gewaltsamkeit von James’ Kurz- und FehlschlĂŒssen hingewiesen hat, mit denen er seine Leserinnen am Ende seiner ErzĂ€hlungen gerne – vermeintlich versöhnlich – vor den Kopf stĂ¶ĂŸt. Segdwick macht in ihrer Analyse von James’ Novelle The Beast in the Jungle (1903) auf das am Ende laut werdende Diktat aufmerksam, demzufolge jeder Charakter „should have desired“[25]; sie deutet dieses Gebot als abermalige VerdrĂ€ngung der praeteritio oder Leerstelle, welche die VerdrĂ€ngung homoerotischen Begehrens hinterlĂ€sst. Durch das gleiche Verfahren wird auch das RĂ€tselhaft-Flirtive an Daisy Miller zu einer misslungenen Hetero-Hochzeitssuppe eingekocht.

Was das Ende der Novelle gleichsam ĂŒberkompensiert, indem es zu viel Sinn produziert, ist eine Krise in der Semiotik – nicht eine Krise in der Semiotik des Flirts, sondern der Flirt als semiotische Krise. Diese Krise wird durch kulturelle Differenzen verstĂ€rkt, hat aber vor allem mit den sich wandelnden GeschlechterverhĂ€ltnissen zu tun: In einer patriarchalen Gesellschaft lĂ€sst bereits die relative SouverĂ€nitĂ€t, welche die Frau im Flirt besitzt, das Zeichensystem kollabieren. Jean-Paul Sartre etwa interpretiert noch Mitte des 20. Jahrhunderts den Umstand, dass die Frau im Flirt Entscheidungshoheit genießt (vielleicht genießt sie auch ĂŒberhaupt nichts) als Sabotage; die Frau, die man auf ein Rendezvous treffe und die so tue, als verstĂŒnde sie nicht eindeutige Zeichen, handle (im hegelschen Sinne) ‚unaufrichtig‘: „Elle sait fort bien les intentions que l’homme qui lui parle nourrit Ă  son Ă©gard. Elle sait aussi qu’il lui faudra prendre tĂŽt ou tard une dĂ©cision. Mais elle n’en veut pas sentir l’urgence [
]. Elle ne veut pas lire dans les phrases qu’on lui adresse autre chose que leur sens explicite“.[26] Ganz Ă€hnlich warnt knapp ein halbes Jahrhundert zuvor Simmel vor der „Macht der Frau dem Manne gegenĂŒber“ im Flirt, welche die Frau umso lĂ€nger auszukosten suche, weil ihr dieses „FreiheitsgefĂŒhl“ ansonsten verwehrt sei.[27]

FĂ€llt die Zeit um die Jahrhundertwende, als der Flirt Literatur und Theorie erobert, ineins mit einer Periode, als die in ihrer Position (relativ) erstarkte Frau aus mĂ€nnlicher Perspektive als SouverĂ€nin des Flirts wahrgenommen wurde, so erklĂ€rt dies, warum gerade (vermeintlich) kokette Frauen nicht flirten und ihre Körperzeichen gen Null gehen: Denn SouverĂ€nitĂ€t, so ließe sich anhand von Louis Marins Le Portrait du Roi (1981) formulieren, bemisst sich daran, wer ĂŒber die ReprĂ€sentationsmacht verfĂŒgt. ReprĂ€sentation ist Macht und Macht ist ReprĂ€sentation, pointiert Marin.[28] Darf ich darauf aufmerksam machen, dass Daisy Millers offizieller Name nicht Daisy (= ‚GĂ€nseblĂŒmchen‘ – Sie liebt mich, sie liebt mich nicht
) ist, sondern ‚Annie P. Miller‘? Wenn James den „androgynous body“[29] von Daisy Miller nicht zeichenhaft erröten, sie vielsagend laut oder leise werden, bedeutungsvoll hin- oder wegschauen lĂ€sst, dann könnte das auch daran liegen, dass Daisy Miller selbst das Prinzip der ReprĂ€sentation verkörpert. Interpretieren wir – wie Sartre es von seinem weiblichen GegenĂŒber fordert – so anzĂŒglich wie nur möglich, so fĂ€llt der Buchstabe P ins Auge, Daisy Millers abgekĂŒrzter Mittelname. Könnte P indizieren, dass Daisy Miller nicht der Phallus ist – wie es fĂŒr die Frau nach Lacan vorgesehen ist, sondern dass Daisy den Phallus hat und somit ĂŒbers Symbolische verfĂŒgt?[30] Schließlich kontrolliert, wer die Macht ĂŒber die Zeichen besitzt, zugleich das Soziale, lehrt uns Marins Le Portrait du Roi.


Thomas Mann: Zu viele Zeichen

Wenn die Frauen nicht mehr flirten, wie sie sollen, weil sie zu mĂ€chtig geworden sind, dann mĂŒssen eben die MĂ€nner ran – doch genau hierin liegt ein Tabu. Der kokette Mann, warnt Simmel, habe immer etwas Monströses an sich:

Wenn uns nun ein koketter Mann ganz besonders widerwĂ€rtig erscheint, so liegt das an jener Umkehrung des allein uns gewöhnten VerhĂ€ltnisses der Geschlechter; es ist eine psychologisch interessante Tatsache, daß das Abnorme, bloß weil es ein solches ist, uns leicht die Empfindung des Ekels erregt [
].[31]

Die negative emotionale Reaktion, die der flirtende Mann laut Simmel hervorruft, stellt auch eine Ă€sthetische Potenz dar. Simmels Zeitgenosse Thomas Mann hat denn auch in seiner frĂŒhen ErzĂ€hlung Der Tod in Venedig (1912) das dramatische Potential dieser Konstellation ausgetestet:[32] Der alternde Schriftsteller Gustav Aschenbach entwickelt auf einer Venedig-Reise eine Obsession fĂŒr den jungen Sohn einer polnischen Adelsfamilie, die in seinem Hotel logiert. Wie Winterbourne wird auch Aschenbach von der Frage umgetrieben, ob das Objekt seines Begehrens mit ihm flirtet oder nicht; wie bei James ist die Leserin in dieses Fragen miteingebunden: Hat der zunehmend delirante ErzĂ€hler die Aufmerksamkeit, die er von dem jungen Tadzio geschenkt zu bekommen meint, bloß halluziniert oder nicht? Die radikale Verunsicherung der Flirtsituation verhĂ€lt sich proportional zur dreifachen Tabuverletzung: flirtender Mann, Altersunterschied, homoerotisches Begehren. Freilich steigert die Tabuisierung im Sinne von Foucaults Kritik an der Repressionsthese das Begehren dialektisch und somit auch das Flirtpotential.[33]

Narratologisch spiegelt sich diese Verunsicherung im wiederholten Wechsel von der auktorialen zur personalen ErzĂ€hlweise wider, wobei letztere sich AuktorialitĂ€t anmaßend die ersehnten Flirtzeichen selbst zu produzieren scheint (was wiederum LektĂŒren verkennen, welche sich an Tadzios „sich schamhaft gebende[r] Koketterie“[34] ergötzen). Zugleich lĂ€sst die ‚echte‘ auktoriale ErzĂ€hlperspektive Zweifel aufkommen, ob das, was Aschenbach als intensivierten, flirtenden Blickkontakt auffasst, von Seiten Tadzios nicht eher einen RealitĂ€tstest darstellt. Diese Gefahr des Fehlinterpretierens lauert in jedem Flirt: Flirtet man tatsĂ€chlich miteinander, oder ist man bloß in einer Feedback-Schleife gefangen, in welcher der Eine schaut, ob der Andere etwa immer noch schaut? Diese peinliche Ungewissheit und die ihr zugrundeliegende AmbiguitĂ€t kommen besonders in einer spĂ€teren Szene zum Ausdruck:

Manchmal aber auch, und der Alternde gewahrte es mit Triumph, mit einem Taumeln seiner Vernunft und auch mit Entsetzen, wandte [Tadzio] zögernd und behutsam oder auch rasch und plötzlich, als gelte es eine Überrumpelung, den Kopf ĂŒber die linke Schulter gegen den Platz seines Liebhabers.[35]

Hat Tadzio ein erotisches, pĂ€dagogisch-pĂ€dophiles Interesse an Aschenbach oder ist er bloß neugierig? Hat Tadzio gar Angst vor dem Stalker?[36] Zwar fĂŒrchtet Aschenbach „sehr die LĂ€cherlichkeit“[37], doch wirft er zunehmend jede Skepsis ĂŒber Bord und erklĂ€rt seine WĂŒnsche zur RealitĂ€t. Am Ende ist er eine komische Figur, selbst wenn er im Augenblick des Todes, zusammenbrechend Tadzio hold vom Meere winkend meint.

Hat bereits der Tod in Venedig aufgrund derlei grotesker Momente etwas Tragikomisches an sich, so geht Mann dem komischen Element des Flirts erst in seinem Roman Der Zauberberg (1924)[38] auf den Grund, den er denn auch „eine Art von humoristischem GegenstĂŒck zum Tod in Venedig“ nennt.[39] Hier, im Hochgebirgssanatorium, findet sich Aschenbach durch den ĂŒbereifrigen Hamburger Hans Castorp ersetzt; Tadzio wird mit der krĂ€nkelnd-koketten SouverĂ€nin Clawdia Chauchat ausgetauscht – einer androgynen Russin, „die ihr Leben getrennt von ihrem Mann und ohne Trauring am Finger an allen möglichen Kurorten verbrachte“.[40] Weil dem bĂŒrgerlichen Castorp der laxe Lebenswandel Madame Chauchats suspekt ist, hat er es nur auf „unbestimmt gespannte[] Beziehungen“ zu ihr abgesehen, „sie verpflichteten zu nichts und durften zu nichts verpflichten“[41] Flirt eben, der von nichts weiter lebt als vom „Cachet des VorlĂ€ufigen“, so Simmel.[42] Das VerhĂ€ltnis der Geschlechter ist bei Mann Ă€hnlich wie bei James: WĂ€hrend sich die weibliche SouverĂ€nin (hierzu zĂ€hlt auch der androgyne Tadzio) durch constantia auszeichnet, macht sich der Mann lĂ€cherlich beim Versuch, die Gnade ihrer Aufmerksamkeit zu erhalten – entweder weil er zu wenig tut, wie Winterbourne, oder weil er zu viel tut, wie Aschenbach und Castorp.[43] Die Art und Weise, wie sich Castorp um Kopf und Kragen flirtet, bietet dem ErzĂ€hler Anlass zu folgender Metareflektion:

Dies Geschlecht [das weibliche] kennt ein solches Mitleid und eine solche Besorgnis ĂŒberhaupt nicht vor den Schrecken der Leidenschaft, – eines Elementes, ihm offenbar viel vertrauter, als dem Mann, der von Natur keineswegs darin zu Hause ist und den es nie ohne Spott und Schadenfreude darin begrĂŒĂŸt.[44]

Warum aber sollte das mĂ€nnliche Ego fĂŒr erotische EntblĂ¶ĂŸungen anfĂ€lliger sein als das weibliche? Mit Kaja Silverman ließe sich psychoanalytisch spekulieren, dass es besonders anfĂ€llig fĂŒr die lösende Wirkung des Todestriebes sei, weil das normative mĂ€nnliche Ego der Ideologie nach die ĂŒberlegene Position inne hat:[45] Zu schwerfĂ€llig, in seiner Position zu fixiert, ĂŒbersteht das allzu mĂ€nnliche Ego die spielerischen SprĂŒnge, die einem der Flirt abverlangt, nicht ohne Bruchlandungen. Dass dieser Befund auch fĂŒr mĂ€nnliche Flirtszenen gilt, zeigt Kenneth Weisingers so amĂŒsanter wie brillanter Kommentar zum Heer von phallischen Sexualmetaphern – Stifte, Zigarren, KaffeemĂŒhlen, Pistolen, Messer, Ölquellen – in den MĂ€nnerrunden im Zauberberg: „[T]he world is filled with sexual signs, the reading of which is simultaneously encouraged and frustrated by a comic discrediting of the dominant mode of understanding such symbols.“[46]
Warum aber ĂŒbertreibt es Castorp mit dem Flirten, obwohl er doch keine ernsten Absichten hat? Castorp geht den Flirt sportsmĂ€nnisch an; schon Simmel bemerkt, der Flirt teile mit dem Spiel „das Jagen und Gewinnen, die Gefahr und die GlĂŒckschance, das Ringen und das Überlisten“.[47] Überhaupt bietet es sich an, Castorps Flirten mit Simmels Beschreibungen des Flirts als kleiner, soziologischer Form zusammenzulesen, denn der BildungsbĂŒrger Mann, der auch ein interessierter Leser Simmels war[48], scheint an der Figur Hans Castorps Simmels Thesen zur Koketterie geradezu durchzuexerzieren. Man könnte Mann hierin einen Ă€hnlichen Mangel an SubtilitĂ€t vorwerfen wie seinem Charakter Castorp, doch was dem Eindruck des Pedantischen entgegenwirkt, ist, dass Mann mit Hans Castorp einen Charakter imaginiert, der flirtet, wie man gerade nicht flirten soll. Bemerkt Simmel etwa, dass in der Koketterie „das Versagen, das Sich-Entziehen [
] mit dem Aufmerksam-Machen, Sich-Darbieten, in einen unteilbaren Akt verschmolzen“[49] sei, so fehlt Castorps Flirten alles Dezente, denn „daß sie [Madame Chauchat] etwas, ja möglichst viel davon bemerke, lag zĂŒgelloserweise durchaus in Hans Castorps Absichten“.[50] Hebt Simmel die Wichtigkeit des HalbverhĂŒllten hervor, so haben Castorps Avancen etwas Exhibitionistisches an sich, seine Gesten sind Winke mit dem Zaunpfahl.

Hans Castorp bricht alle Regeln des aptum („ut dicamus apte“[51]) und begeht Stilverfehlungen, die den Flirt komisch werden lassen. Soll der Redner nach Quintilian stets Anlass und Person des Richters im Kopf behalten, um nicht „die hohe Form der Rede in kleinen FĂ€llen, die kleine gefeilte in feierlichen, die strahlende in gedrĂŒckten, die glatte in rauhen, die drohende in bittenden, die gedĂ€mpfte in erregten, die trotzige und heftige in heiteren Situationen“[52] zu verwenden, macht sich Castorp ĂŒberhaupt keine Gedanken ĂŒber den Kontext oder das Wie seiner Kommunikation – nur dass er gehört wird, dass Clawdia Notiz von ihm nimmt, liegt ihm am Herzen. Mann, könnte man in Anlehnung an KĂ€te Hamburger formulieren, weist damit humorvoll auf „das InadĂ€quate“[53] von Castorps Flirtverhalten hin. Interessanterweise vergleicht Quintilian die Stilverfehlung, die aus einer solchen Fehldeutung der Situation resultiert, mit einem Mann, der sich, nicht wissend was sich (angeblich) schickt, mit „Schmuck der Frauen [verunstaltet]“.[54] Genauso wie sich Simmel mit der Warnung, Koketterie erscheine bei MĂ€nnern ‚abnorm‘, als Gender-Polizei aufspielt, beanstandet also auch der antike Rhetoriker den Bruch mit dem aptum als ungehöriges Crossdressing.

Die meisten Flirtszenen im Zauberberg ereignen sich im Speisesaal – vor Publikum also wie in einer Arena. Als Sohn von Kaufleuten hĂ€lt Hans Castorp genau Buch ĂŒber die Flirtzeichen, die er aussendet wie jene, die er zu empfangen meint: Er zĂ€hlt, dass Clawdia sich „zwei- oder dreimal“ beim Essen zu ihm umwendet; schließlich blickt sie „zum viertenmal mit Vorbedacht hinĂŒber und begegnete seinen Augen auch diesmal. In einem fĂŒnften Fall ertappte sie ihn zwar nicht unmittelbar; er war gerade nicht auf dem Posten. Doch fĂŒhlte er es sofort, daß sie ihn ansah, und blickte ihr so eifrig entgegen, daß sie sich lĂ€chelnd abwandte.“[55] Obschon Castorp einsieht, dass seine Flirttechnik noch etwas Verfeinerung vertrĂŒge, zĂ€hlt er am Ende des Mahls zufrieden ganze sechs Blickwechsel. Castorps ZĂ€hlen macht deutlich, dass fĂŒr den Flirtenden anderes zĂ€hlt als fĂŒr den Nicht-Flirtenden, ja, dass fĂŒr den Flirtenden (wie fĂŒr den Psychotiker) der ganze Kosmos voller Zeichen ist. Wie Aschenbach beginnt auch Castorp, diese Zeichen selbst zu produzieren: Er fĂ€ngt Madame Chauchat mehrmals vor dem Essen auf dem Flur ab, damit ihre Blicke sich kreuzen oder sie ein Wort der BegrĂŒĂŸung an ihn wenden muss. Wenn Simmel „die Lust am Hazaard“[56], Bloch die Kontingenz des Flirts, Benjamin die Melancholie des VorĂŒbergegangenen feiert, dann hat es sich Castorp zum Ziel gesetzt, aus der Kontingenz Notwendigkeit zu machen. Als er einmal bemerkt, dass Madame Chauchat durch einen Lichtstrahl gestört wird, durchschreitet er den gesamten Raum, um die Gardine unter „Auferbietung vielen Gleichmutes“[57] zuzuziehen. Madame Chauchat schenkt ihm ein LĂ€cheln – ein scheinbar positives Körperzeichen.

Erst spĂ€ter, als alles vorĂŒber war, [
] bemerkte er erst, daß Joachim die Augen still auf seinen Teller gerichtet hielt, – wie ihm auch nachtrĂ€glich deutlich wurde, daß Frau Stör Dr. Blumenkohl in die Seite gestoßen hatte und ĂŒber all am eigenen Tische und an den anderen mit geducktem Lachen nach mitwissenden Blicken suchte [
].[58]

Manns Darstellungsweise hat in den Flirtszenen im Zauberberg etwas Filmisches an sich – die Genauigkeit der ‚Regieanweisungen‘, die Art, wie sich der Blick gleich einer Kamera erst langsam dem Außen hin öffnet. Ein punktueller Transfer von Deleuzes kinematographischen Überlegungen bietet sich an, da der Slapstick von Mann/Castorp Ă€hnlich wie der von Chaplin und Keaton das Affekt-Bild in ein kleines Bewegungs-Bild ĂŒbersetzt, wobei das GefĂŒhl, das den Flirt unwillentlich begleiten sollte, rationalisiert und mechanisiert wird: Sechs Blicke erzeugen mehr Emotion als zwei; eine Diagonale durch den Speisesaal bringt die emotive Bewegung zum Querschießen.[59] All das wird im Speisesaal als lĂ€cherlich, ja beschĂ€mend empfunden. Die repetitive Formulierung („Erst spĂ€ter, als alles vorĂŒber war, [
] bemerkte er erst“) unterstreicht, dass sich das GefĂŒhl des LĂ€cherlichen bei Castorp im Nachhinein einstellt, weil es dazu der Distanz und Einsicht bedarf: „Daher kann Niemand sich selber lĂ€cherlich im Handeln vorkommen, es mĂŒsste denn eine Stunde spĂ€ter seyn, wo er schon sein zweites Ich geworden und dem ersten die Einsichten des zweiten andichten kann“, erlĂ€utert Jean Paul in der Vorschule der Ästhetik (1804)[60] – einem Buch, dessen grĂ¶ĂŸere Relevanz fĂŒr Manns Humor des Kleinen Hamburger erlĂ€utert.[61] Dabei gehört das „Erst
erst“ zu jenen „papageienartigen“[62] Formulierungen bei Mann, durch die, wie Andrew Webbers genderkritische LektĂŒre zeigt, IdentitĂ€t durch Wiederholung brĂŒchig und ReprĂ€sentation als Performanz enttarnt wird. In diesem Sinne unterstreicht das „Erst
 erst“ die Spaltung des Ichs wie auch das Moment der Wiederholung an sich, das zentral ist fĂŒr Theorien des Komischen von Karl Marx bis Henri Bergson.[63]

 Bergson entwickelt in Le Rire (1900) die These, das Lachen der Anderen markiere Momente, in denen sich ein Individuum nicht gesellschaftlich-konform verhalte.[64] Durch unser Lachen ‚korrigieren‘ wir Handlungen Anderer, wie Castorps plumpes Flirten, die mechanisch oder kĂŒnstlich auf uns wirken: „Les attitudes, gestes et mouvements du corps humain sont risibles dans l’exacte mesure oĂč ce corps nous fait penser Ă  une simple mĂ©canique.“[65] Den Eindruck des Mechanischen erzeugen Momente der Wiederholung, der Unterbrechung, der Umkehrung anstelle gleitenden, organischen Wandels.[66] Hierzu zĂ€hlen Castorps Blick-Nummerierung, seine ÜberfĂ€lle auf Madame Chauchat, sein die Mahlzeiten störendes exzessiv-galantes Getue wie auch erzwungen-kontroverse Stellungnahmen, die eine Reaktion Madame Chauchats provozieren sollen (Simmel spricht vom „Behaupten von irgendetwas, was man eigentlich gar nicht meint“[67]). Wörtlich wird der Gedanke des ‚Mechanischen‘ in der „werkzeughaften Rolle“, fĂŒr die Castorp seine NĂ€chsten einspannt – eine laut Simmel fĂŒr den Flirt typische Verhaltensweise, „‚mit einem Manne [zu] kokettier[en], um dadurch mit einem andern, auf den es in Wirklichkeit abgesehen ist, zu kokettieren“.[68] Da der Dritte dabei zum „Werkzeug“, „zum bloßen Mittel“[69] degradiert wird,hat diese Technik etwas Unethisches an sich, schreibt der Komparatist Daniel Hoffman-Schwartz: „In flirtation good faith is bad faith, or so it would seem.“[70] Mann dramatisiert diese skandalöse Flirt-Strategie in ihrer ganzen komischen AbgrĂŒndigkeit:

Und wĂ€hrend Joachim im Bewußtsein seiner werkzeughaften Rolle mit niedergeschlagenen Augen saß und auch die Kleefeld aus Hans Castorps blinden und abschweifenden Blicken allmĂ€hlich fĂŒr ihre Person das krĂ€nkende GefĂŒhl gewann, nur als Mittel zum Zwecke zu dienen, schmollte Hans Castorp und zierte sich und drechselte Redensarten und gab sich eine wohllautende Stimme, bis er es wirklich erreichte, daß Frau Chauchat sich nach dem auffĂ€llig Redenden umwandte und ihm ins Gesichte blickte, – aber nur einen Augenblick [
] mit einem Ausdruck so geflissentlicher GleichgĂŒltigkeit, daß er wie Verachtung aussah, genau wie Verachtung [
].[71] 

 

Jean Genet: Flirt im Zeichen des Sex

Was passiert, wenn man am Endpunkt beginnt und die den Flirt strukturierende Furcht, zu wenig oder zu viel zu flirten, bejaht? Anders als seine VorgĂ€nger James und Mann bricht Jean Genet so radikal mit allen Regeln des Angemessenen, dass es sich erĂŒbrigt, auf einzelne Überschreitungen hinzuweisen. Wer aber hieraus die Schlussfolgerung zieht, das aptum habe im Modernismus ausgedient, liegt falsch, denn das vermeintlich starre rhetorische Regelsystem ist mobiler: WĂ€re es etwa, fragt Quintilian, zur Freisprechung des Sokrates nicht angemessener gewesen, wenn Sokrates die ĂŒbliche Form der reuevollen Verteidigungsrede verwendet hĂ€tte? „TatsĂ€chlich aber ziemte sich das fĂŒr ihn am allerwenigsten, und deshalb fĂŒhrte er seine Sache so, als habe er den Wunsch, seine Straftat der höchsten Anerkennung und Ehrung fĂŒr wert zu befinden.“[72] Selbst der Bruch mit dem aptum kann also im Namen des aptum geschehen, wenn man ihn zugunsten einer neuen GrĂ¶ĂŸe wagt – z. B. dem Genie, zu welcher die metaphysische Geste des Bruches besser passt als KonformitĂ€t.

Das wiederum erklĂ€rt, warum Genets flirtende MĂ€nner nicht wie die meisten von Manns flirtenden MĂ€nner lĂ€cherlich wirken, denn Genet experimentiert in seinen Flirt-Szenen genauso mit der Kategorie des aptum wie mit der des LĂ€cherlichen. Und so ist auch das LĂ€cherliche Genet wie auch spĂ€teren queeren KĂŒnstler*innen im Umkreis von camp nicht mehr Grund zur Angst, sondern BewĂ€hrungsprobe. „Theatre of the Ridiculous is a Community of Ourselves taking momentary time to laugh at its position as the ridiculous“[73], bemerkt der Autor und Warhol-Kollaborateur Ronald Tavel und schreibt so Genets Strategie in gewisser Weise fort. Das wirkt so radikal, dass Sartre gar verkĂŒndet: „Genet a tuĂ© la loi“.[74] Genauer hebt Genet das herrschende Wertesystem aus den Angeln, indem er Negativwerte wie Mord, Diebstahl, Verrat und sogar das vermeintlich ehrenrĂŒhrige LĂ€cherliche bewusst bejaht. Wirkt z. B. laut Bergson nichts lĂ€cherlicher als „l’artificiel au naturel“[75], so erweisen sich Genets Protagonist*innen gerade in der Kombination von KĂŒnstlichem und NatĂŒrlichem am verletzlichsten und am selbstbewusstesten – am flirtivsten.

Genet verĂ€ndert also die Spielregeln des Flirts. Wie groß ist etwa die Verwunderung, als der Ich-ErzĂ€hler des Romans Journal du voleur (1949) beim Öffnen des Reißverschlusses von Stilitanos Hose entdeckt, dass, was die Potenz des unwiderstehlichen Mannes so sichtbar auszeichnete, nichts weiter ist als eine Rispe Plastiktrauben![76] Verringert dieser Einbruch ‚des KĂŒnstlichen im NatĂŒrlichen‘ Stilitanos Sexappeal? Wirkt die Körperzeichen-Prothese lĂ€cherlich? Keineswegs. Stilitano wirkt genauso wenig lĂ€cherlich wie die Transgender-Protagonistin Divine aus Notre-Dame-des-Fleurs (1943), die sich, weil ihre Perlenkrone beim Feiern zerbrochen ist, kurzerhand ihr Gebiss auf den Kopf setzt mit dem majestĂ€tischen Ausruf: „– Eh ! bien, merde, mesdames, je serai reine quand mĂȘme.“[77] Einmal mehr bewahrheitet sich Marins These, dass SouverĂ€n*in ist, wer ĂŒber die Zeichenfunktion bestimmt. Nie aber wird so evident, dass man bestimmt, wie wenn man Zeichen kontrĂ€r verwendet.[78] 

Sind James und Mann Meister darin, aus frustrierter Erotik einen tragikomischen Funken zu schlagen, sogar frissons zu evozieren, so gewinnt Genet aus tragischen, von Ausgrenzung, Feindschaft und Armut geprĂ€gten Konstellationen eine erfĂŒllte, gewitzte Erotik. Bergsons soziale Maßregelungen perlen an Genets Figuren ab, weil die Kategorien ‚Natur‘ oder ‚natĂŒrlich‘ ausgedient haben – nicht zufĂ€llig sind viele seiner unwiderstehlichsten Charaktere körperlich Versehrte: zahnlos, amputiert, ausgerenkt. Niemand jedoch ist unwiderstehlicher als Mignon, Protagonist von Genets flirt-gewaltigstem, erstem Roman Notre-Dame-des-Fleurs, Mignon, dessen flirtivstes Körperzeichen ein versehrtes Handgelenk ist:

Son poignet aussi souple que celui d’un violoniste pend, gracieux, dĂ©sarticulĂ©. Et parfois, en plein jour, il s’étrangle avec son bras vivant de tragĂ©dienne. Cela, c’est le portrait presque exact de Mignon, car [
] il avait le gĂ©nie du geste qui doit me troubler, et si je l’évoque, je ne peux m’arrĂȘter de le chanter qu’au moment oĂč ma main s’englue de mon plaisir libĂ©rĂ©. [
] IndiffĂ©rent et clair comme un couteau d’abattoir, il passa, les fendant toutes en deux tranches qui se rejoignirent sans bruit mais en dĂ©gageant un lĂ©ger parfum de dĂ©sespoir que personne ne dĂ©cela.[79] 

Die Geste, mit der „ce bel homme“[80] seine Umgebung betört, ist seinem ausgerenkten Handgelenk geschuldet, das graziös herabhĂ€ngt. Genet ist besessen von derlei partes pro toti, deren radikale Idiosynkrasie Barthes’ punctum antizipieren: „Certain dĂ©tails plus obstinĂ©ment s’acharnent Ă  rester: cette petite clĂ© creuse avec laquelle, s’il veut, il peut siffler, son pouce, son chandail, ses yeux bleus“.[81] Diese Gesten werden bei Genet zu Kraftzentren des Flirtiven, zu Momenten absoluter PotentialitĂ€t. Genet unterscheidet Gesten strikt von Koketterie, fĂŒr die in der Welt der GefĂ€ngnisse kein Platz sei: „Je crois au monde des prisons, Ă  ses habitudes rĂ©prouvĂ©s. [
] Non point ĂȘtre coquet et s’orner de nouveaux ornements, autres qu’une cravate et des gants: mais renoncer Ă  la coquetterie.“[82] Die Unterscheidung von flirtiver Geste und Koketterie bewirkt eine Spaltung im Konzept des Flirts, die den Flirt davor bewahrt, seine PotentialitĂ€t einzubĂŒĂŸen und am Pornographischen zu zerschellen.

Denn wie noch von ‚Flirt‘ sprechen bei einem Autor, bei dem Begehren sich derart körperlich manifestiert? Genet macht Sex flirtiv und Flirt sexy, indem er zugleich SexualitĂ€t aktual werden lĂ€sst und die PotentialitĂ€t der flirtiven Geste zum Selbstzweck erhebt. Obgleich Theoretiker des Flirts von Simmel ĂŒber Bloch bis zu Adam Phillips davon ausgehen, dass Flirt da endet, wo Sex stattfindet[83], ĂŒberlebt bei Genet stets ein rĂ€tselhafter Rest von Begehren, den Michael Lucey als „the insistence on a relation to unspecifiable, unfixable, mobile futurity“ beschreibt.[84] Dieses Endlos-ZukĂŒnftige vergegenwĂ€rtigt sich in flirtiven Gesten. Die Parallelisierung von Flirt und Geste kommt nicht von ungefĂ€hr, schließlich stellen beide im kantschen Sinne ‚Àsthetische‘ Momente dar, ZweckmĂ€ĂŸigkeiten ohne Zweck; d. h. genauso wie Simmel in der „Beziehung [der Koketterie] zu Spiel und Kunst“ das wiedererkennt, „was Kant fĂŒr das Wesen der Kunst erklĂ€rte“[85], so spricht Giorgio Agamben mit Blick auf die Geste von einer „sphere of a pure and endless mediality“.[86]

Genet verwischt also die Grenzen zwischen Sex und Flirt, indem er SexualitĂ€t wieder etwas Flirtives einhaucht. Eine andere Technik, Sex einen nur vorlĂ€ufigen, hypothetischen Charakter zu verleihen, sind metonymische Verschiebungen, v. a. in Querelle de Brest (1947), wo Sex als ‚nichts weiter‘ ausgegeben wird denn als kleiner Flirt. VerdĂ€chtigt die eifersĂŒchtige Lysiane (Georges) Querelle und seinen Bruder Robert des Inzests? Georges und Robert ringen angeblich nur miteinander; Georges hat stattdessen Sex mit dem Mörder Gil(bert Turko), der zufĂ€llig so aussieht wie Robert. Macht Gil außerdem mit dem 16-jĂ€hrigen Roger herum? Gil fĂŒrchtet, von Roger wegen seiner offensichtlichen Erregung ausgelacht zu werden („Dis, ça t’a fait rigoler?“[87]) und versichert, er stehe eigentlich auf Rogers Schwester Paulette, aber weil die gerade nicht da sei, begnĂŒge er sich halt mit ihrem Bruder („Toi, tu y ressembles. T’as sa p’tite gueule. [
] C’est dommage que tu la soyes pas.“[88]). Und lĂ€sst sich Querelle von dem Bordellbesitzer Nono penetrieren? Dann erklĂ€rt er, er habe nun mal im WĂŒrfelspiel gegen Nono verloren. (Zuvor manipulierte er dieses Spiel). Der Genet-Biograph Edmund White kommt zum paradoxen Befund: „Querelleis a novel about homosexuality in which none of the characters is homosexual.“[89] Man könnte all dies als Vorwand lesen, als Tricks, homosexuelles Begehren unsichtbar zu machen, oder als Versuch, eine GesetzeslĂŒcke in der symbolischen Ordnung zu finden. Allein, eine solche Interpretation wĂŒrde Sex abermals ontologisieren, als etwas Absolutes setzen.

Vergleicht man abschließend die Körperzeichen, die in den Texten von James, Mann und Genet im Flirt gegeben werden, so fĂ€llt auf, dass diese Zeichen bei James zu diskret ausfallen, so dass der Flirt bereits in seinem Entstehen gleichsam versandet. Das umgekehrte Szenario spielt Mann durch, nĂ€mlich die Blamage, die derjenige auf sich zieht, der zu viele Flirtzeichen aussendet. Und wiewohl man das Gleiche von Genets Charakteren erwarten könnte – den Untergang des Flirts ins LĂ€cherliche – transzendiert Genet die Opposition von Sex und Kein-Sex und gibt uns damit noch in den Zeiten von #MeToo zu denken, wo ĂŒberhaupt Sex anfĂ€ngt und Flirt aufhört, Sex aufhört und Flirt anfĂ€ngt.

 

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Fussnoten

1 Kipnis (2018), o. S.
2 Vgl. Nagel (2015), 136.
3 Simmel (1909), 91.
4 Bloch (1969), 82.
5 Baudelaire (1855), 89; Benjamin (1923), 41.
6 Benjamin (1950), 120.
7 Vgl. Campe (2015), 37-50.
8 Quintilianus (1988), hier Buch 1. V. 1; s. a. den Anfang von Buch XI.
9 Vgl. Simmel (1909), 88 f.
10 Phillips (1996), xi.
11 Barthes (1970), 14 f.
12 Miller (1990), 119.
13 Vgl. James (1879).
14 Vgl. James (1909).
15 Vgl. Kaye (2002), 153 f.
16 James (1879), 8.
17 James (1879), 12.
18 Empfohlen seien Sophie Witts umfangreiche Reflexionen zum (anti)-szenischen Charakter von Daisy Miller: „Daisy Miller verhandelt mit dem
Flirtiven nicht zuletzt insofern Fragen litera­rischer Form, als darin die komplizierten Verfahren des ‚Lesens‘ thematisch sind. Denn es sind Daisy Millers ‚mystifying manners‘, die sie zu einem RĂ€tsel machen“. Witt (2015), 128.
19 Simmel (1890), 57.
20 Simmel (1909), 88 f.
21 Simmel (1890), 53: „[S]o liegt in den weitaus meisten FĂ€llen auch den kokettesten Frauen der Gedanke einer sexuellen Gemeinschaft mit dem Mann, dem gegenĂŒber sie kokettieren, völlig fern und sie wĂŒrden eine auf ihr derartiges Benehmen sich stĂŒtzende Zumutung mit EntrĂŒstung und dem Bewußtsein zurĂŒckweisen, daß ihre Koketterie durch­aus kein Entgegenkommen nach dieser Richtung hin enthalten sollte.“
22 James (1879), 8.
23 Bloch (1969), 82.
24 James (1879), 8.
25 Vgl. Sedgwick (1990), 182-212, insb. 198-201. (Herv. i. Orig.)
26 Sartre (1955), 94.
27 Simmel (1909), 88 f.: „Die Macht der Frau dem Manne gegenĂŒber offenbart sich ja an dem Ja oder Nein, und eben diese Antithese, in der das Verhalten der Kokette schwingt, begrĂŒndet das FreiheitsgefĂŒhl. [
] Und mindestens in einer Anzahl von FĂ€llen hat sich beobachten lassen, daß sehr herrschsĂŒchtige Frauen auch sehr kokett sind.“
28 Vgl. Marin (1981).
29 Wardley (1991), 232.
30 Vgl. Lacan (1958), 690.
31 Simmel (1890), 57 f.
32 Vgl. Mann (1912). Der einzige Roman von Thomas Mann, in 
dem ein Mann flirtet, ohne deshalb von seiner Umwelt als lĂ€cherlich empfunden zu werden, ist Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (1910–1954); siehe hierzu Strowick (2015).
33 Vgl. Foucault (1976).
34 Frey (1968), 187; 189.
35 Mann (1912), 572.
36 Vgl. Mann (1912), 572.
37 Mann (1912), 557.
38 Vgl. Mann (1924).
39 Mann gebrauchte diese Formulierung in Variationen: zuerst in einem Brief an Ernst Bertram vom 24. 7. 1913. Vgl. hierzu Mann (2001), 527. Ungeachtet einer solchen Direktive halten sich Manns(-)Leser selten lĂ€nger bei seinen erotisch-komischen Passagen auf; dort, wo es einmal ge­­schieht wie bei Frederick Alfred Lubich, lĂ€sst die „zunehmende Bedeutungs­anreicherung der Sprache und Verwissenschaftlichung des Eros“, die man an Mann zur Kenntnis nimmt, auch das eigene Schreiben spröde werden. Vgl. Lubich (1986), 314.
40 Mann (1924), 219.
41 Mann (1924), 219.
42 Simmel (1909), 91.
43 Mann freut sich in Pariser Rechenschaft (1926) darĂŒber, dass man ihn an der AcadĂ©mie Française u. a. mit Henry James verglichen habe. Vgl. Mann (1926), 38.
44 Mann (1924), 504.
45 Vgl. Silverman (1992), 61.
46 Weisinger (2006), 181.
47 Simmel (1909), 96.
48 Einen Überblick ĂŒber Manns zahlreiche 
BezĂŒge auf Simmel bietet Ernest Schonfield. Vgl. Schonfield (2011), 71.
49 Simmel (1909), 85.
50 Mann (1924), 217.
51 Quintilianus (1988), 11. 1. 1.
52 Quintilianus (1988), 11. 1. 3.
53 Hamburger (1965), 22.
54 Quintilianus (1988), 11. 1. 3.
55 Mann (1924), 217.
56 Simmel (1909), 90.
57 Mann (1924), 351.
58 Mann (1924), 351 f.
59 Vgl. Deleuze (1983).
60 Paul (1804), 206.
61 Vgl. Hamburger (1965), 14.
62 Vgl. Webber (2001), 68.
63 Vgl. Marx (1852), 115: „Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufĂŒgen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“
64 Vgl. Bergson (1900), 67.
65 Bergson (1900), 22 f.; siehe auch 53.
66 Vgl. Bergson (1900), 55-68.
67 Simmel (1909), 85 f.
68 Simmel (1909), 83 f.
69 Simmel (1909), 83 f.
70 Hoffmann-Schwartz (2015), 32. Daniel Hoffman-Schwartz macht auf die ontologischen Folgen von Simmels soziologischer These aufmerksam, wenn er Simmel ‚mit‘ mit Kant und Heidegger liest.
71 Mann (1924), 354.
72 Quintilianus (1988), 11. 1. 9-11., hier 11. 10.
73 Vgl. Tavel (1966).
74 Sartre (1952), 126. (Herv. i. Orig.)
75 Bergson (1900), 37.
76 Vgl. Genet (1949), 57. Weitere Nennungen auf 58; 94.
77 Genet (1943), 101.
78 KĂŒrzlich wies Juliane Rebentisch auf den politischen Impetus von Jack Smiths camp-Ästhetik hin als „einer kritischen Haltung, die Geschichte in Natur liest (sowie) hinsichtlich einer kritischen Melancholie, die ein GlĂŒck ermöglicht, das aus der Wahrnehmung von Natur in Geschichte erwĂ€chst.“ Rebentisch (2013), 177.
79 Genet (1943), 15.
80 Genet (1943), 15.
81 Genet (1943), 26.
82 Genet (1943), 97. Durch den Roman hindurch wird das Wort ‚kokett‘ aus­schließlich pejorativ eingesetzt, etwa wenn Divine den ihr untreuen Notre-Dame verunglimpft (74) oder wenn die junge Divine (Culafroy) sich vor einem koketten Einbeinigen ekelt (110).
83 Vgl. Philipps (1994). xix.
84 Vgl. Lucey (1997), 81.
85 Simmel (1909), 91.
86 Agamben (1996), 58.
87 Genet (1947), 184.
88 Genet (1947), 185.
89 White (1993), 335.

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