Einleitung
„Nowadays, the media game of which fahion is making use, the game of the spectacular scandal, derives from the enormous excitement generated by the reversal of the stereotype of male into a stereotype of crises. It is the old trick employed to such good effect in the fable of the Emperors New Clothes.“[1] Das Stereotyp Mann als Stereotyp der Krise sells good, ließe sich die nüchterne Bilanz von Giannino Malossi pointieren. Ohne Identitätskrise- und damit -suche, keine Ausdifferenzierung der Stile und also keine Männermode. Aber die Verunsicherung darüber, was Mann als Figuration von „Normal-Sein“ heute sein soll bzw. darf, verkauft sich in einer Mediengesellschaft nicht nur gut, sondern gibt auch Auskunft über die Konstruktion von gesellschaftlicher Normalität, stellt diese zur Disposition und eröffnet Verhandlungsräume. Männlichkeit, so stellte Richard Dyer inbesondere in Bezug auf maskuline Erotik fest, sei ein bißchen wie Luft, wenn alles gut geht, sei sie omnipräsent und man könne sie, ohne darüber nachzudenken, einatmen.[2] Diese Selbstverständlichkeit durchbricht die Rede von einer Krise und schafft allein dadurch eine andere Realität. Das sanfte Dunkel des Kontinents Mann, das den Phänotyp häufig in seltenem Glanz erscheinen läßt, scheint periodisch und so auch im Moment, durch eine besondere öffentliche Aufmerksamkeit empfindlich gestört. Denn der normale Mann funktioniere nicht mehr im gewünschten Sinne. Damit aber wird nicht nur Weiblichkeit, sondern eben auch Männlichkeit in einer breiteren Öffentlichkeit als soziale Konstruktion, als Ordnungsmuster ausgewiesen. Und dies bedeutet aus feministischer Sicht zunächst einmal: Mit Männlichkeit kann gearbeitet werden.
Das Zusammenspiel von Krise und Stereotyp, auf dem Cover von Stefan Schreck ins Bild gesetzt und im inneren des Heftes durch eine Photostrecke von Julia Zimmermann kommentiert, diese Konstellation zu untersuchen, ist das Gemeinsame der hier versammelten Texte. Die Unterschiede liegen der jeweils eingenommenen Perspektive, ebenso wie in dem damit verbundenen pluralen Verständnis von Krise, von Männlichkeit und Männern.
So untersucht Ulrike Baureithel die Rede deutschsprachiger Intellektueller von Ernst Jünger, Jürgen Roth bis Klaus Mann über ‚den‘ Mann, dessen Bild durch den Ersten verlorenen Krieg stark beschädigt wurde, der vom Schützengraben in die Ästhetik der Neuen Sachlichkeit hinübergerettet werden will. Der reklamierte neue Mann sucht ein neues Bild auf Basis von Neutralität aufzurichten. Am Ende des 20. Jahrhunderts ist man im Krisendiskurs dann weniger um Sachlichkeit als um Emotionen bemüht: Der weiße, westliche Durchschnittsmann fühlt sich auch ohne sichtbares äußeres Desaster als lebender Toter und will sich in Folge wieder spüren lernen, als Mensch und als Mann. Er ringt um Rekonfigurationen von Männlichkeit: Die Rede von der Krise ist im kulturellen Mainstream angekommen.
Daß jene Umarbeitungen vom Konzept heterosexueller, weißer Männer als im Prinzip gut und also normstiftend, im Kontext der weltweit wahrgenommenen Anschläge auf die Zivilgesellschaft in den USA gesehen werden muß, darauf insistiert der Text von Susan Jeffords. Welche mediale Bearbeitung erfuhr der Umstand, daß spätestens seit dem von Timothy McVeigh in Oklahoma City verübten Terrorakt allen klar wurde: Der nette, weiße Junge von nebenan muß so nett nicht sein? Und welchen Einfluß nehmen die Ereignisse vom 11. September 2001 auf die Konstruktion von hegemonialer Männlichkeit und das US-amerikanische Nationalgefühl?
Auch Elisabeth Bronfen untersucht aktuelle Krisenszenarien in ihrer filmischen Bearbeitung durch Hollywood und weist darauf hin, daß die Bildersprache einer gegenwärtigen male hysteria nicht nur Geschichte hat, sondern auch auf eine spezifische Bildtradition zurückgreift. Sie sieht in den Filmen Memento und The Man who wasn´t there eine maskuline Heimatlosigkeit in der Ästhetik und Narration des Film Noir verankert und schlägt damit wiederum eine Brücke zwischen der Nachkriegszeit in das beginnende 21. Jahrhundert.
Zeitgenössischen Zusammenklängen vom krisenanfälligen, heterosexuellen Mann, Kunst und Pop nähert sich der Beitrag von Jörg Metelmann seinerseits über die traditionsreiche Figur der Junggesellenmaschine. Von Duchamp bis Kafka spielt sie in männlichen Selbstinszenierungen eine bedeutende Rolle. So leihe sich die Hamburger Band Blumfeld ihren Namen nicht umsonst von Kafka und klage, liebe und verweigere die Fortpflanzung zugunsten der Kunstproduktion damit in guter Gesellschaft: Die Krise „muß tanzbar sein“.
Weitere Überlegungen zur klagenden Selbstinszenierungen stellen Kathrin Röggla und Ulrich Peltzer in ihrem gemeinsam verfaßten literarischen Text jammer/lappen an. Es ist Spätsommer, in Südfrankreich hat die Nachsaison begonnen, das Reiseduo zerbricht, und er überlegt, warum er damit nichts zu tun hat. Der Text bietet gleichzeitig einen Einstieg in das neue Romanprojekt Basement von Ulrich Peltzer.
Eine andere Perspektive auf Identitätskrisen eröffnet Ernest W. B. Hess-Lüttich. In seiner kleinen Literatur-Geschichte von den deutschsprachigen Sprach-Rändern her und aus Sicht der qua Homosexualität Marginalisierten, widmet er sich den Autoren Guido Bachmann, Josef Winkler, Martin Frank und Christoph Geiser, die auf sehr unterschiedliche Weise ihre Ausgrenzungs-und Stigmatisierungserfahrungen literarisch artikulieren.
Ein wiederum anderes minoritäres Sprechen vorzustellen, ist das Anliegen von Abigail Solomon-Godeaus Essay über die bildenden Künstler Glenn Ligon und Lyle Ashton Harris. Ihre Arbeiten kreisen um Repräsentationsmöglichkeiten von schwarzen Homosexuellen, die bekanntlich zwischen allen Stühlen plaziert werden. Nicht zuletzt durch den spezifisch performativen Einsatz von Schrift in der bildenden Kunst – schwarz auf weiß – schaffe diese Kunst einen Raum, der das Verschwindenmachen von abweichenden Subjekten und Subjektivitäten thematisiert und damit in eine (eingeschränkte) Sichtbarkeit überführt.
Stereotyp und Krise, Mann und Abweichung, krisenhafte Selbstinszenierungen und Bearbeitungen von Krisenerfahrungen, dies alles sind Facetten einer Krisenfigur Mann, die sich derzeit zum Icon der westlichen Gesellschaft stilisiert. Sie näher zu betrachten, auf ihre Veränderungspotentiale in Richtung Geschlechterdemokratie zu untersuchen und in ihrer Relativität zu erkennen, dazu möchte dieses Heft beitragen.
Â
[1] Giovanni Malossi: Material Man. Masculinity Sexuality Style. New York: Harry N. Abrams, 2000, 31.
[2] Vgl. Richard Dyer: The Matter of Images. Essays on Representation. London/New York 1993, 111.