Editorial
Die Alltagskultur ist in vielerlei Hinsicht eine Spielwiese für Ãœbertragungen. Auf dieser Wiese finden nicht zuletzt Sprachspiele statt, und gelegentlich wachsen auf ihr die seltsamsten Blüten metaphorischer Ãœberraschungen. Deren Eigenschaften beschränken sich mitunter nicht nur auf das Gebiet der Sprache, auch wenn sie ihr entstammen. Ganz besonders, wenn blumenreiche Metaphern dem Bereich Werbung und Marketing angehören, kann man vor Ãœberraschungen nicht sicher sein. Eine ganze Reihe einfallsreicher Menschen arbeitet daran, Metaphern zu visualisieren und mit der Lebenswelt der jeweiligen Konsumentenzielgruppe zu verbinden. Wer einen Blick auf die Regale im Supermarkt wirft, bewegt sich mitten in einem Feld der erlebbaren Metaphern.Â
Ein Beispiel: Der Schauplatz des folgenden metaphorischen Ereignisses sind die USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die amerikanische Lebensmittelindustrie stellte sich die Aufgabe, breiten Bevölkerungsschichten im Landesinneren ein neues, noch ungewohntes Lebensmittel schmackhaft zu machen: den Thunfisch. Preiswert, da damals im Überfluss vorhanden, und nahrhaft war dieser Fisch, doch eben den meisten Konsumenten fremd. Um das zu ändern, griff man zu einer metaphorischen Strategie, die sich geradezu als klassisch aristotelisch bezeichnen ließe: Etwas gänzlich Unvertrautes sollte durch ein Bild mit etwas Vertrautem zusammengeführt und verständlich gemacht werden. Aristoteles bezeichnete ja die Metapher als einen sprachlichen Übertragungsvorgang, als „die Übertragung eines Wortes (das somit in uneigentlicher Bedeutung verwendet wird) und zwar entweder von der Gattung auf die Art oder von der Art auf die Gattung, oder von einer Art auf die andere, oder nach den Regeln der Analogie.“[1]
Der metaphernselige Einfall bestand darin, den – fast ausschließlich als Dosenfisch vermarkteten – Meeresbewohner Chicken of the Sea, Huhn des Meeres zu nennen. Der Markenname hat sich bis heute erhalten, und auch wenn die Verpackung der Thunfischdosen mehrfach ihre Farbe und den Schriftzug variiert haben, ist das Huhn des Meeres immer noch in aller Munde und auf vielen Tellern zu finden (Abb. 1).
Dem Hersteller mag es nicht besonders appetitanregend erschienen sein, das Huhn des Meeres als solches abzubilden, denn das hätte ja ein höchst befremdliches Mischwesen ergeben, die Chimäre eines geflügelten oder geschnäbelten Fisches etwa. Man begnügte sich über mehrere Jahrzehnte hinweg mit der sprachlichen Metapher und dem Schriftzug des Markennamens Chicken of the Sea. In den 1950er Jahren aber kam eine zweite, gewissermaßen den Zeitgeist und das damalige Geschlechterverhältnis in die Fischdose integrierende Übertragungsleistung zustande, die endlich auch dem Wunsch nach einem Bild Rechnung trug. Nun ging es nicht mehr nur darum, durch den verlockenden Namen des Huhns – oder Hühnchens – kulinarische Reize auszusenden. In der Überzeugung, dass nichts verlockender sein könne als das Weib, entwickelte man ein neues Markenlogo entlang einer metonymischen Kette: Von chicken zu chick, der Bezeichnung für ein den männlichen Sexualappetit anregendes junges Mädchen, ist es im Amerikanischen nicht weit, und so landete man schließlich bei der verführerischen kleinen Meerjungfrau, dem blonden langhaarigen und fischbeschwänzten Weibchen (Abb. 2). – Im gleichen Jahr 1952, als die blonde Meerjungfrau zum ersten Mal das Huhn des Meeres verkörperte und die Chicken of the Sea-Fischdosen zierte, kam auch die erste Barbiepuppe auf den Markt; ebenfalls schlank, blond, langhaarig. Und in den Kinos bestätigte Brigitte Bardot als Hauptdarstellerin in Roger Vadims Film Et Dieu... créa la femme (1956) das erotische Leitbild. – Endlich war für die Thunfischdose ein verführerisches Bild gefunden, das nicht mehr nur ein Dasein als Sprachbild zu fristen brauchte. Da der Thunfisch in Dosen im Ersten und Zweiten Weltkrieg als Nahrung der siegreichen amerikanischen Soldaten populärer geworden war, leuchtete über der Metapher des Meereshuhns nun auch noch eine nationale Aura. Mit allen Sinnen war das Chicken of the Sea als erlebbare, sinnlich-verführerische und sogar essbare Metapher etabliert.
Mit Metaphern, die dem Bereich der Bildenden Kunst entstammen und die Funktion des reinen Sprachbildes verlassen, befassen sich die Aufsätze des vorliegenden Heftes. Sie nehmen zumeist von sprachbezogenen Metapherntheorien ihren Ausgang und blicken auf die Lebendigkeit der Metaphern, die métaphore vive (Ricœur, 1975) in Gemälden, Installationen, Ausstellungen und Ausstellungskonzepten. In gewisser Weise beobachten die Beiträge also die Metaphorizität von Bildern. Schon der junge Friedrich Nietzsche hatte darauf hingewiesen, dass das Bild ursprünglich eine Metapher sei.[2] Abgesehen hatte es Nietzsche auf die Verwandtschaft zwischen Bild, Metapher und Begriff. Eine kritische Befragung dieses Bilderdenkens steht im Zentrum dieses Heftes: Dass es genuin bildliche Metaphern gibt, die uns in grundsätzlicher Weise zu denken geben, ist eine der leitenden Einsichten mehrerer Beiträge.
Die Redaktion dankt Marius Rimmele herzlich für die freundliche und intensive Kooperation bei der Gestaltung dieses Heftes.
In der Redaktion heißen wir außerdem neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter willkommen: Dr. Sophie Witt, Noah Schmitz und Vera Zimmermann. Die Herausgeberin dankt ihnen allen für erfreulichste und engagierte Zusammenarbeit.
Zürich, im März 2017 Barbara Naumann
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Fussnoten
1 Aristoteles (1994): Poetik. Hrsg. u. übers. v. Manfred Fuhrmann. Stuttgart: Reclam, 1457b.Â
2 Vgl. Friedrich Nietzsche (1873): „Ueber Wahrheit und Lüge im ausser-moralischen Sinne“. In: ders.: Kritische Studienausgabe. Hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari. Bd. 1. Berlin/New York: de Gruyter, 1999, 873-890, hier: 879.Â
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