Editorial

Barbara Naumann

Mode und Kunst, die beiden großen Darstellungsfelder der Zeitlichkeit und des Körpers, sind in den beiden letzten Jahrhunderten unaufhörlich aufeinander zugegangen. Sie haben sich schon fast bis zur Ununterscheidbarkeit anverwandelt, und es scheint, als feierten sie ihre langwierige und langsame Hochzeit immer noch weiter. Dabei haben sie den einst so fundamental erachteten Unterschied, für die Ewigkeit oder aber für den Augenblick geschaffen zu sein, kulturell „hoch“ oder eher weiter „unten“ zu stehen, verwebt und verwischt. Die Zeitspiele der Mode sind in der Gegenwart nicht zu übersehen, und wer sie entdeckt, denn es bedarf dazu eines erzogenen Blicks – auf jeder Straße, in jeder Bar, in jedem Kaufhaus –, der sieht auch Kunst. Warum, auf welche Weise und seit wann dies möglich ist, untersuchen die Beiträge dieses Heftes.

Mit der Mode-Kunst oder Kunst-Mode entfaltet sich eine Ästhetik, die die Trennung zwischen Alltag und Kult nicht mehr benötigt, um sich zu situieren. Vielmehr werden Zeiten und Wandlungen der Mode und mit ihnen Wendungen des Geschlechterverhältnisses untersucht. Schon im 19. Jahrhundert erkennen Künstler wie Balzac, Baudelaire und Proust, daß das Geschlechterverhältnis sich anzieht, sich verkleidet, um sich gerade damit auch zu wandeln. Eben noch figurierten die bunten und schön kalkulierten weiblichen Kleider vor der ewig grauen Kulisse des männlichen bürgerlichen Anzugs, um ihn zu zieren, seine Position auszustellen und schließlich die Kälte seiner gesellschaftlichen Rolle in emotionale Lesbarkeit zu übersetzen. Doch bald schon ergriff die Dynamik kalkuliert farbiger Inszenierungen auch die männliche Kleidungskunst und machte die weibliche der männlichen Kleidung zugänglich. Daß Raffinement schlechthin notwendig ist, um in der Mode die Zeit zu thematisieren und damit auch die zeit-abhängige, zeitweise und zeitgemäße Präsentation und Transgression des Geschlechts zu leisten, ist unveränderliches Thema jeder modischen Variation. In diesem Reigen wartet das Zerrbild des Todes; es verleiht aller noch so bizarren Mode-Kunst ihren melancholischen Zug.

Vivienne Westwood produziert theatralische Mode der historischen Zitate; Dolce & Gabbana setzen die Opulenz einstmals populärer Rollenmuster bis hin zu Maria ein; Wolfgang Joop widmet sich seit jüngstem auch Kunstausstellungen... Solche Phänomene der Interferenzen zwischen Mode und Kunst, solche Varianten des Stils werfen ein Licht auf die verschwenderische Ökonomie des Themas, beleuchten den ungeheuer erweiterten Markt jenes Kunst-Mode-Zwischenreichs. Mode ist ein Entgrenzungsphänomen und damit der Kunst zum Verwechseln ähnlich geworden, und sie unterhält eben darin die innigsten Beziehungen zu dem, was einmal „Kunst“ war, als „Mode“ noch auf die Mode beschränkt blieb. Natürlich hat die Mode auch einen „futuristischen“ Zug, den etwa die Umgestaltung von Kleidern zu informationstechnischen Trägern, zu „intelligenten“ Stoffen und Medien zeigt. Jedoch scheint Mode gerade dort unmodisch zu sein, wo sie sich auf eine technizistische Zukunft festlegt, wo sie nur im Neuen nach Neuem sucht. Gerade in der Suche nach dem Unerhörten kommt noch einmal das Älteste, kommt die Konvention dieser Suche zutage. Die gegenwärtige Mode („Retro“) hat wieder einmal auf Umwegen die konventionell gedachte Zeitlinie von Altem und Neuem, Vergangenheit und Zukunft zu einer Kreisspirale umgedeutet. Solches zitierende melancholische Wiedererkennen hat und macht Geschichte. Literarische, filmische, künstlerische und philosophische Geschichten der Mode sind es deshalb, die die einzelnen Beiträge dieses Heftes verfolgen.

Unser besonderer Dank geht an die Gasteditorin dieses Heftes, Ingeborg Harms. Elfriede Jelinek sei für ihre großzügige Mitarbeit an diesem Heft herzlich gedankt. Wir danken außerdem der Hochschulstiftung der Universität Zürich für die freundliche Unterstützung dieses Heftes.


Zürich, im Oktober 2000