Editorial: Schönheit. Arbeit

Barbara Naumann

Michael Jacksons Nase. Ist sie schön? Erscheint seine derzeitige Nase nicht häßlicher als die früheren, oder als eine der früheren? Ist die aktuelle Nase womöglich nicht so schön wie die der 90er Jahre, als Michael aussehen wollte wie Liz Taylor, und doch noch anziehender als die früheste, kindliche, die zudem noch schwarz war? Ist die effeminierte und von der dunklen Hautfarbe befreite Variante seines Aussehens schöner als die farbige, krausköpfige Jugendversion? Oder stellt die allmähliche Verfertigung des weißen, effeminierten Ideals eine moralische Niederlage dar, die intendierte Schönheit einen Verrat an race und gender? – An der Geschichte des Gesichts von Michael Jackson läßt sich ablesen, wie ununterscheidbar mitunter die ästhetische und die politische Dimension der Schönheit sein kann. Ob moralisch betrachtet oder nicht – Schönheit wird offensichtlich nicht immer als natürliche Mitgift, als Gnade der Natur aufgefaßt. Sie ist vor allem Schauplatz der kulturellen Positionierungen des Selbst: Schönheit ist Arbeit. Und zwar harte Arbeit, die Ausdauer, zeitliche und finanzielle Opfer verlangt und nicht zuletzt den Einsatz des ganzen Körpers.

In denjenigen Ländern der Welt, in denen dem Einzelnen Ressourcen zur Verfügung stehen, die über die unmittelbare Subsistenz hinausgehen, finden im Zeichen der Schönheit massive Umbauprozesse an den Körpern statt. Und dies keineswegs nur in den privilegierten Schichten. Brasilien ist das Land mit der blühendsten plastischen Chirurgie-Industrie; andere, nicht nur westliche Länder stehen dem kaum nach. Über ethnische, ökonomische und über Geschlechtergrenzen hinweg wird Schönheit weitgehend als Arbeit an den Körperformen verstanden. Einmal analytisch zerlegt in Partialobjekte, steht der Körper der Bearbeitung offen: Bizeps, Ohr, Brust und Penis, Zahn und Zehe, Hüfte und Lidfalte… Jedes Teil der Anatomie kann modelliert werden.

Der Begriff der Schönheit wird heute, nicht nur in den Medien, in erster Linie auf die visuelle Präsentation einer Person bezogen. Dabei scheint vor allem die Frage nach „groß“ und „klein“ eine bedeutende Rolle zu spielen. Size does matter. Die Frage nach der Größe (der Nase, des Penis, des Busens) kann, wie Sander Gilmans einleitender Essay eindrucksvoll zeigt, zum Politikum werden, sobald sich gesellschaftliche, ethnische, soziale Idealbildungen daran knüpfen. Nichts steht der gegenwärtigen fanatischen Körperarbeit im Zeichen der Schönheit ferner als eine kontemplative Schönheitsauffassung. Der menschliche Körper hat sich, im Gegenteil, zum Träger der stets wandelbaren kulturellen Schönheitsbilder gemacht. Diese – und das Streben nach ihnen – stellen nicht den Genuß des Schönen, sondern das alltägliche Unbehagen in der eigenen Kultur dar.

Die hier vorliegenden Beiträge verfolgen die kulturellen Wendungen der Schönheit im Zeitalter ihrer technischen (schönheitschirurgischen) Reproduzierbarkeit. Essays zur weiblichen Schönheit im 18. und 19. Jahrhundert zeigen zudem, wie Rasse, Geschlecht, Alter und sozialer Status als Determinanten des Schönheitsdiskurses gewirkt haben. Schönheit ist von jeher nicht nur eine Sache der Künste gewesen, obwohl sie in ihnen ihre eindringlichste Diskussion, ihre sensibelste Darstellung erfahren hat. figurationen untersucht die Schönheit über die schönen Künste hinaus vor allem als kulturelle Institution. So vielfältig und ungreifbar sie auch sein mag: Unzweifelhaft eignet der Schönheit eine diskursive Macht, die alle Facetten zwischen Liebreiz, Lust und Terror ausfüllen kann.

Herausgeberin und Redaktion danken Sander Gilman sehr herzlich für die Gastedition dieses Heftes und ebenso für seinen grundlegenden Beitrag. Unser Dank geht auch an die UniFrauenstelle – Gleichstellung von Frau und Mann an der Universität Zürich für die freundliche Unterstützung dieser Ausgabe.


Zürich, im Oktober 2001