Editorial

Barbara Naumann


Leichtigkeit – dieser Begriff wird meist mit einer Wunschvorstellung verbunden, nämlich, daß etwas anstrengungslos gelingen, von leichter Hand, mit leichtem Sinn zu bewältigen sein möge. Leichtherzigkeit, Leichtfertigkeit, Leichtsinn – nicht nur als Gegensatz zum Schweren oder Schwierigen kann Leichtigkeit gesehen werden, sondern als eine Gestimmtheit, die eine besondere Art des Umganges oder Anschauens meint. Kinderleicht können Dinge oder kann das Leben erscheinen, wenn Hingabe und Spielerisches beteiligt sind. Daß eben diese Leichtigkeit aber auch die Anbindung an die Dinge des Lebens lösen und selbst zur Beschwernis, zur Quelle unfaßbarer Traurigkeit werden kann, hat neben Kafka oder Proust kaum ein Autor so prägnant gefaßt wie Fernando Pessoa, der im Namen des „Hilfsbuchhalters Bernado Soares“ eine „Autobiographie ohne Ereignisse“ skizzierte, sein
Buch der Unruhe:

Ich weiß nicht, welch subtiler Lichteffekt, welch undeutliches Geräusch oder welche Erinnerung an einen Duft oder eine, durch irgendeinen äußeren Einfluß zum Klingen gebrachte Melodie mir plötzlich, während ich über die Straße ging, diese Einfälle zutrug, die ich jetzt, in einem Kaffeehaus sitzend, gemächlich und entspannt niederschreibe. Ich weiß nicht, wohin ich meine Gedanken führen wollte, oder welche Richtung ich ihnen hätte geben wollen. [...] Der Tag geht zur Neige, eintönig und ohne Regen, in einem matten, ungewissen Lichtton …Und ich höre auf zu schreiben, weil ich zu schreiben aufhöre.[1] 

Unversehens wird hier die Leichtigkeit, Gemächlichkeit und Entspanntheit zur Chiffre des Verdämmerns und des Todes.

Leichtigkeit kann zur Vorstellung des Schönen oder Eleganten führen; sie kann einen Stil betreffen, eine Geste, eine Kunstfertigkeit, verbunden mit der Fähigkeit, die Dinge sein zu lassen wie sie sind. Daß Leichtigkeit nicht nur an Körper und ihre Bewegungen gebunden sein muß, sondern eine Haltung oder sogar eine Denkform sein kann, rückt sie in die Nähe ästhetischer Konzepte, ohne daß sie sich deren Geschichtlichkeit, Schwere und Genauigkeit zu eigen machte. Als Teil einer Ästhetik und als Bindeglied zwischen den Künsten und Kulturen untersuchen die in diesem Heft versammelten Texte die Leichtigkeit. Das von der Leichtigkeit geweckte Assoziationsspektrum ist groß. Die Überwindung der Schwerkraft, etwa in Tanz, Sport, Architektur und Malerei, aber auch die Überwindung der Gedankenschwere in der Philosophie und Literatur – dies sind Aspekte, die dieses Heft verfolgt. Daß mit der Sehnsucht nach der Leichtigkeit des Lebens aber auch die Bewältigung des Schwersten, nämlich des Sterbens und Todes angesprochen ist, darauf verweisen ebenfalls mehrere Beiträge dieses Bandes. Implizit ist damit auch die Leichtigkeit angesprochen, mit der gegenwärtig über Krieg und Frieden, Leben und Tod entschieden wird, und der leichte Sinn, mit dem Zeugnisse des Denkens, der Kultur und Geschichte der Vergessenheit überantwortet werden.

Mit Gabriele Brandstetter hat sich eine Expertin für Tanz und Ästhetik und für den Zusammenhang der Literatur mit anderen Künsten diesem Heft gewidmet. Die Redaktion dankt ihr herzlich für die Zusammenarbeit, die sie mit leichter Hand zu gestalten wußte.

Wir danken außerdem der Hochschulstiftung der Universität Zürich für die großzügige Unterstützung dieses Heftes.


Zürich, im Juni 2003