Editorial
Piggeldy wollte wissen, was Fragen ist.
„Frederick?“, fragte Piggeldy seinen großen Bruder.
„Ja, Piggeldy?“
„Frederick, was ist das, Fragen?“
„Nichts leichter als das. Komm mit.“
So in etwa würde wohl die Piggeldy und Frederick-Folge zum Thema ‚Fragen‘ beginnen – sofern es sie denn gäbe. In den mehr als hundert Folgen der Zeichentrickserie, die zwischen den 1970er und 1990er Jahren im Rahmen der westdeutschen Sandmännchen-Sendung ausgestrahlt wurden, löchert Schweinchen Piggeldy seinen großen Bruder zwar zu allen möglichen Themen mit Fragen. Von eher ‚Schweinsspezifischem‘ wie Unkraut, Äpfeln, Wind und Wiese über Malen, Schlittschuhlaufen, Badewannen bis hin zu Geburtstag, Liebe und Geduld ist so ziemlich alles dabei, was auch kleine (und größere) Menschenkinder umtreibt. Dem Fragen selbst jedoch ist, zumindest dem einschlägigen Youtube-Kanal nach zu urteilen,[1] keine eigene Folge gewidmet.
Das überrascht – gerade angesichts des prominenten Stellenwerts, der dem Fragen im Verlauf jeder Folge zukommt. Zur ritualhaften Auftaktfrage gesellen sich nämlich fast immer Piggeldys mal eher genervt-ungeduldige, mal eher schelmische Nach- und Rückfragen, wenn sich sein Bruder allem anfänglichen Aplomb zum Trotz („Nichts leichter als das“) mal wieder in Unklarheiten und/oder Widersprüche verstrickt. So etwa in der Folge zum Wörtchen schnell: „Dann kann also einer ganz langsam sein, und wenn ein anderer noch langsamer ist, dann“, schließt Piggeldy dort mit der Nonchalance des geborenen Dekonstruktivisten, „ist der Langsame schnell. Stimmt das?“
Warum das Fragen in der Serie nicht explizit zum Thema wird? An der Abstraktheit des Sachverhalts kann es kaum liegen. Zu Geduld und Liebe gibt es ja schließlich auch eigene Folgen. Und dort weiß sich Frederick – dem sonst, damit sich bei seinem wissbegierigen kleinen Bruder der gewünschte Aha-Effekt einstellt, des Öfteren der Zufall auf die Sprünge helfen muss – jedes Mal mit einem Griff in die Zauberkiste namens embodiment zu helfen: In der Folge zur Geduld marschiert er stundenlang mit Piggeldy durch die Landschaft und stellt so dessen Geduld auf die Probe, während er in der Folge zur Liebe sein Ohr zärtlich an dem seines Bruders reibt. Ein vergleichbarer performative turn wäre ohne weiteres auch fürs Thema ‚Fragen‘ denkbar.
Aber eben: Fehlanzeige. Und zwar nicht nur bei den beiden schweinischen Brüdern, die sich Elke Loewe einst ausgedacht hat (die übrigens auch als Krimiautorin hervorgetreten ist, in einem literarischen Genre also, das seinerseits eine besondere Affinität zum Fragen hat). Wie Christine Abbt und Christine Weder, die beiden Gasteditorinnen des vorliegenden figurationen-Hefts, eingangs festhalten, ist diese Art blinder Fleck in Zusammenhang mit dem Fragen vielmehr geradezu die Regel: Als soziale, literarische, philosophische Praxis mag das Fragen allgegenwärtig sein und sich, weit über den Ausdruck kindlicher Neugier hinaus, in vielen unterschiedlichen Gestalten präsentieren. Als solches rückt es dagegen nur in den seltensten Fällen in den Fokus. Zu groß ist offenbar die Versuchung, das Fragen immer schon im Horizont des Antwortens zu betrachten und nicht in seinem Eigenwert. Damit aber ist der Anspruch formuliert, den die Beiträge des vorliegenden Hefts erheben, indem sie das Fragen aus literaturwissenschaftlicher, kulturtheoretischer, wissenssoziologischer und -theoretischer Perspektive befragen. So kann am Anfang des Heftes zwar nicht das Motto stehen: „Nichts einfacher als das.“ Sehr wohl aber die Einladung: „Kommen Sie mit.“ Denn es gibt einiges zu entdecken.
Im Namen der Redaktion bedanke ich mich herzlich bei den beiden Gasteditorinnen sowie bei den Autor:innen der einzelnen Beiträge für die ebenso angenehme wie reibungslose Zusammenarbeit. Großen Dank auch an Pascale Osterwalder für ihre wie stets glückliche Hand beim Layout und beim Entwerfen des Covers.Â
Zürich, im April 2024
Â
Fussnoten
1) https://www.youtube.com/@PiggeldyFrederick (zuletzt gesehen: 21. 4. 2024).
https://www.youtube.com/@PiggeldyFrederick (zuletzt gesehen: 21. 4. 2024).