Editorial
Kürzlich äußerte der französische Filmregissuer Jean-Luc Godard in einem Radio-Interview Überlegungen zum Verhältnis von Sprache und Film, die sich ungefähr so paraphrasieren lassen: Am Beginn eines Filmprojekts stehe für ihn immer ein Buch, stehe für ihn die Sprache; ohne ein gutes Buch sei kein interessanter Film zu machen. Ausgangspunkt eines Films sei eben nicht die oft beschworene „Allmacht der Bilder“. Sprache und Film sind für Godard zwei vollkommen getrennte Welten. Die stimulierende Macht des Buches soll den Ausschlag geben für die Qualität eines Filmes.
Godards erster berühmter Film A bout de souffle (Dt.: Außer Atem) von 1959 scheint zwar dieser These Recht zu geben, denn es war kein Geringerer als François Truffaut, der das ausgezeichnete Drehbuch dazu schrieb. Dennoch erstaunt diese Aussage eines Regisseurs, der sich in seinen späteren Filmen geradezu ostentativ der Eigendynamik und der spezifischen Verführungsweise der Bilder überlassen hat. Ganz offenbar wollte Godard ein ,klassisches‘ Statement geben, das die Eigenständigkeit und evokative Kraft von Sprache und Schrift in Erinnerung ruft. Das Intermedium des Films erscheint als ein klar umrissener Raum: als Ort der Bewegung von gesonderten Künsten. Erst trennt es die Film- und Schreibkunst und leitet dann die Kunst des Films von der des Schreibens ab. Das eigentliche ,Inter‘, das Dazwischen, bzw. der Übergang von einem Medium zum anderen ist der Kreativität des Regisseurs überantwortet; ihm obliegt es, für das Buch die Bilder zu finden.
Ein ebenso klassisches – und noch dazu historisch wesentlich wirksameres – Gegenargument zu der von Godard geäußerten These plädierte und plädiert noch heute für die Priorität des Auges bzw. des Visuellen und des Bildhaften bei sämtlichen Prozessen der Imagination, Erkenntnis und Darstellung. Im engen Sinne ,klassisch‘ sogar deshalb, weil es nicht zuletzt Goethe war, der das Auge als dasjenige Organ privilegierte, dessen Anschauung gewissermaßen den Königsweg zu jeder möglichen Einsicht bereitet: „Das Ohr ist stumm, der Mund ist taub; aber das Auge vernimmt und spricht.“ [1]
Goethe deutet die Intermedialität der Sinne als interne transmediale Leistung des Augensinns. Im Kontext der neuen elektronischen Medien und ihrer fortschreitenden Vernetzung stellt sich das Problem von Inter- und Transmedialität allerdings von einer ganz anderen Seite dar. Technisch informierte Theorien begreifen das Problem des Übergangs zwischen verschiedenen Darstellungsformen (Schrift, Bild, Ton) nicht mehr auf dem Niveau der phänomenalen sinnlichen Oberfläche, die die Medien bieten, sondern auf dem Niveau der Systemeigenschaften, der Hard- und Software, die den Übergang zwischen den vielfältigen ,alten Medien‘ ermöglicht oder eben auch verhindert. Sie sind nämlich mit der Frage befasst, wie die zur Zeit noch bestehende technische Vielfalt von Systemen und Formaten der Erzeugung, Verteilung und Speicherung von Informationen so gestaltet werden kann, dass die Übergänge zwischen den verschiedenen medialen Welten widerstandslos funktionieren. Die Suche nach ,verbindlichen Standards‘ ist meist die Form, in der solche Debatten das Publikum und den Markt erreichen: Sie ist die Metaphysik des digitalen Zeitalters. Es ist allerdings nicht schwer, sich vorzustellen, welches ungeheure ökonomische Interesse die Unterhaltungsindustrie an standardisierten Formaten und möglichst integrierbaren Softwaresystemen besitzt.
Digitale Netzwerke reduzieren die Frage nach der Transmedialität auf die Praktikabilität der Übertragung und Koppelung von phänomenal differenzierten Subsystemen wie Bild und Ton. Dabei können diese Netzwerke selbst zu Medien werden, denn sie generieren ihre spezifischen eigenen Darstellungsformen. Der ,klassischen‘ Auffassung entsprechend sind sie lange einfach als computerisierte Formen audiovisueller Technologien aufgefasst oder, wie Analytiker der digitalen Kunst wie Gundolf S. Freyermuth oder Florian Cramer sagen würden: missverstanden worden. Das vorliegende Heft verfolgt die Wege medialen Wandels in analoger und digitaler Kunst. Die Frage nach dem medialen Dazwischen, dem Prozess des Übergangs und der Übertragung, dem ,Trans und Inter‘, stellt sich in den verschiedenen historischen und ästhetischen Kontexten jeweils neu.
Zwar erscheinen die figurationen wie immer im klassischen und augenfreundlichen Gewand des Druckmediums, aber Gundolf S. Freyermuth hat mit seiner engagierten Betreuung dieses Heftes die Übergänge in die digitalen Welten deutlich aufgezeigt und diskutiert. Dafür danken wir ihm herzlich.
Zürich, im Dezember 2007
[1] Johann Wolfgang von Goethe: „Das Auge”. In: ders.: Werke (Weimarer Ausgabe), 2. Abt., Bd. 5 (1906), 12.