Rund um den ‚Schleier‘

Arabische Künstlerinnen in der globalen Kunstszene

Silvia Naef

Seit den 1990er Jahren denkt und handelt die Kunstszene ‚global‘. Bis dahin nur in Völkerkundemuseen oder Freizeiteinrichtungen von Migranten gezeigt, fand Kunstproduktion aus nichteuropäischen Ländern nun Eingang in einige der wichtigsten Kunstinstitutionen des Westens. Les magiciens de la terre, 1989 im Pariser Centre Beaubourg veranstaltet, wird allgemein als die erste Ausstellung betrachtet, in welcher auf nichtwestliche Kunst nicht mit einem ethnographischen, sondern mit einem kunsthistorischen Blick geschaut wurde. Mehrere Großereignisse, von denen hier nur einige Beispiele erwähnt werden sollen, widmeten sich seitdem dieser vormals noch ‚exotischen‘ Produktion: So wollte die Berliner Ausstellung Die anderen Modernen im Haus der Kulturen der Welt (1997) bewußt den Beitrag von nichtwestlichen Künstlern zur Moderne hervorheben, obwohl fast nur im Westen lebende Künstler gezeigt wurden. [1] Total Global. Umgang mit nicht-westlicher Kunst, im Jahr 2000 im Museum für Gegenwartskunst in Basel veranstaltet, war ein breites Programm von Ausstellungen, Rundtischen und anderen Veranstaltungen. [2] Die von der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia mitgestiftete literarisch-künstlerische Initiative L’autre Méditerranée (1998-2005), die über sieben Jahre hinweg in mehreren Schweizer Städten stattfand, hatte ebenfalls zum Ziel, kreatives Schaffen aus dem Mittelmeerraum dem Schweizer Publikum bekannt zu machen. [3]

Auch prestigiöse internationale Kunstveranstaltungen wie die documenta oder die Biennale von Venedig nahmen Künstler aus der sogenannten Dritten Welt, darunter auch solche aus islamischen Ländern, in ihr Programm auf. Die künstlerische Leiterin der documenta X, die französische Kuratorin Catherine David, schrieb 1997 im Vorwort zum Katalog:

[Es ist eine] Tatsache, daß es „zeitgenössische Kunst“ in den nicht-westlichen Kulturen zumeist erst seit kurzer Zeit gibt und sie lediglich eine Begleiterscheinung ist – im günstigsten Fall eine Begleiterscheinung der beschleunigten Akkulturation und des kulturellen Synkretismus in den Großstädten und Riesenmetropolen, im schlimmsten Fall eine des Zwangs zur Marktbelebung und zur Umsatzsteigerung im Westen. Zur Zeit bedient sich die nicht-westliche zeitgenössische Kunst, will sie relevant, aussagekräftig und radikal sein, vornehmlich der Musik, der gesprochenen und geschriebenen Sprache [...], des Films. [...] Diese [...] Bestandsaufnahme [...] bevorzugt bestimmte „andere“ Formen der zeitgenössischen Kultur – aus der arabischen und muslemischen [sic] Welt, und den afrikanischen Ländern [...].[4]

2002 machte Catherine David durch die Ausstellung Contemporary Arab Representations: Beirut/Lebanon zeitgenössische libanesische Künstler im Westen bekannt. Die Austellung wurde zuerst in der Fundació Antoni Tàpies in Barcelona, dann im Witte de With Center in Rotterdam gezeigt, das David bis Ende 2004 leitete. [5] 2003 folgte Contemporary Arab Representations: Cairo, eine Ausstellung zeitgenössischer ägyptischer Kunst, die dann auch in anderen europäischen Städten gezeigt wurde. [6] Dieses neue Interesse an außereuropäischer Kunst wurde kürzlich im Genfer Centre d’Art Contemporain unter dem Titel Ethnic Marketing – Art, Globalisation and Intercultural Supply and Demand gar zum Thema einer Ausstellung (21. Oktober bis 5. Dezember 2004). Sowohl in den Ausstellungsobjekten wie in den Begleitveranstaltungen wurde die Frage aufgegriffen, warum nichtwestliche Kunst seit einigen Jahren so oft in Ausstellungen vertreten ist und wodurch sich europäische Ausstellungsmacher angesprochen fühlen.

Die Globalisierung der Kunstszene bedeutet für außereuropäische Künstlerinnen und Künstler, von denen bis vor nicht allzu langer Zeit noch etwas verächtlich als Epigonen westlicher Vorbilder gesprochen wurde, daß sie mit der Möglichkeit rechnen können, international anerkannt zu werden. Inwiefern dies Einfluß auf die Kunstproduktion in den Ländern selbst – insbesondere auf die Produktion von Frauen – hat, wird das Thema dieses Beitrags sein.

Frauen in der lokalen arabischen Kunstszene – von den Anfängen bis 1991

Moderne arabische Kunst entstand im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert im Kontakt mit westlicher Kunstproduktion. Die Adoption westlicher Kunstkonzepte, -stile und -techniken ist eng mit dem Modernisierungsprozeß verknüpft: Wer modern sein wollte, mußte sich auch die moderne Kultur aneignen, und dazu gehörte die – damals noch – figürliche Kunst. [7] Im Nahen Osten wurden die ersten Kunstschulen errichtet (1883 in Istanbul, der Hauptstadt des Osmanischen Reiches, 1908 in Kairo), Stipendiaten in den Westen geschickt, um dort das Handwerk zu erlernen, und öffentliche Plätze und Gebäude ebenso wie private Wohnhäuser wurden mit Statuen [8] und Bildern geschmückt.

Die Entwicklung moderner Kunst in der arabischen Welt läßt sich grob in drei Perioden unterteilen: So war die Anfangszeit, die vom Ende des 19. Jahrhunderts bis etwa 1945-1950 andauerte, eine Phase der Adoption westlicher Kunst. Es handelt sich hier um eine eigentliche Aufbauphase. Obwohl sich manche Künstler teilweise von lokalen Kunststilen inspirieren ließen, war die Kunstproduktion in dieser Zeit größtenteils von westlichen Vorbildern, meist akademisch-orientalistischer Art, geprägt.

Im Gegensatz zum journalistisch-literarischen Bereich, wo Frauen durchaus aktiv und präsent waren [9], gab es in dieser ersten Phase nur äußerst wenige Künstlerinnen. In der ägyptischen Kunstszene – der ältesten in der Region – waren künstlerisch arbeitende Frauen zu jener Zeit meist Ausländerinnen, wie die Österreich-Schweizerin Margot Veillon (1925-2003), oder aber Frauen, die sich für längere Perioden im westlichen Ausland aufhielten, meist in westlichen Schulen erzogen worden waren, Französich oder Englisch als ihre Muttersprache betrachteten und demnach wenig Bezug zum Leben in ihrem Heimatland hatten. [10] In anderen Teilen der arabischen Welt waren Frauen in der Kunst weitgehend inexistent. Dies läßt sich wohl damit erklären, daß der Künstlerberuf damals noch ein relativ neuer war, den auch Männer nur selten ergriffen, möglicherweise aber auch damit, daß er weit mehr als das Schriftstellertum eine Tätigkeit darstellt, die im öffentlichen Raum, d.h. außerhalb des Hauses, ausgeübt wird. Feministinnen wie Huda Sha`rawi in Ägypten fanden jedoch, daß Kunstliebe durchaus zu den Gepflogenheiten moderner Frauen gehören sollte:

Nachdem der Versuch, einen literarischen Zirkel zu gründen, der ihren Geist gebildet und erhoben hätte, gescheitert war, nahmen wir jede Gelegenheit wahr, die das Interesse dieser Damen für gesellschaftliche Aktivitäten hätte erwecken können: Wir forderten sie deshalb auf, Kunstausstellungen zu besuchen, zu speziell für sie reservierten Zeiten.[11]

Auf diese Aufbauphase folgte eine Phase der Adaption, die vom Ende der 1940er Jahre bis zum Golfkrieg von 1991 anzusetzen ist. Diese Phase, die auch jene der staatlichen Unabhängigkeiten und des aufstrebenden arabischen Nationalismus war, war auf kulturellem Gebiet durch die Suche nach einer modernen und ‚echt‘ arabischen Identität bestimmt. In der Kunst manifestierte sich dies durch das Aufgreifen lokaler Traditionen, seien sie vorislamisch oder islamisch. ‚Authentizität‘ (asala) wurde ein zentrales Motiv und war fast untrennbar mit ‚Modernität‘ (hadatha) verbunden. Es war zudem eine Zeit starker linker politischer Bewegungen. Wie anderswo besannen sich diese auch in der arabischen Welt auf die Werte des ‚Volkes‘ und der unteren Gesellschaftsschichten, denen sie sich verpflichtet fühlten und die – nach der vorherrschenden Meinung – in ihrer Lebensweise weit weniger vom Modernisierungsprozeß berührt worden waren. In Verbindung mit nationalistischem und antiimperialistischem Gedankengut erzeugte dies einen Diskurs, in welchem nur das, was vor dem westlichen Eindringen in den Nahen Osten existierte, ‚authentisch‘ und somit ‚arabisch‘ war. Modernes war unecht, importiert, kurzum ‚westlich‘.

In der Kunstproduktion drückte sich dies in der weiten Verbreitung von Szenen aus dem Leben der sogenannten ‚einfachen Leute‘ aus. Das Motiv der traditionell gekleideten Frau war omnipräsent, einerseits, weil es als visuelles Motiv ergiebig ist, andererseits weil es für eine Generation, die Zeugin tiefgreifender gesellschaftlicher Umwälzungen war, wie vielleicht kein anderes Motiv ‚Arabisches‘ oder ‚Authentisches‘ darzustellen vermochte.

Nachdem die arabischen Staaten die Unabhängigkeit erlangt hatten, wurden Frauen vermehrt eingeschult und waren nun auch im Berufsleben anzutreffen, vor allem in intellektuellen Kreisen. Die gesellschaftlichen Veränderungen hatten Frauen auch in die Kunstbranche gebracht: Von den 1950er Jahren an gibt es in allen arabischen Ländern renommierte weibliche Künstler, wie etwa die 1993 bis 1994 in Washington – und später in anderen amerikanischen Städten – gezeigte Ausstellung Forces of Change: Artists of the Arab World zeigte. [12] In dieser Ausstellung wurden die Werke der damals bekanntesten arabischen Künstlerinnen gezeigt, wie etwa Etel Adnan, die in ihrer Arbeit die arabische Schrift plastisch verwendet.

Wie im Westen waren in der arabischen Welt die sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine Zeit des gesellschaftlichen Protests und des Wandels. In der Literatur waren kritische Frauenstimmen, die ihre Situation in der arabischen Gesellschaft schonungslos beschrieben, nicht selten. Wie stand es mit der Kunst?

Im Gegensatz zum Bereich der Literatur muß festgestellt werden, daß Kunst von Frauen in dieser Zeit erstaunlich ‚brav‘ ist. Künstlerinnen thematisierten die spezifische Situation der Frauen in der arabischen Welt kaum, und wenn sie Frauen darstellten, so repräsentierten sie sie in ihrer traditionellen Rolle als Mütter oder Trostspenderinnen. [13] In diesem Punkt unterschieden sich die meisten malenden Frauen kaum von ihren männlichen Kollegen. Von feministischer Kunst kann also kaum die Rede sein.

Seit den 1990er Jahren schließlich kann man von einer Phase der Globalisierung sprechen, in dem Sinne, daß sich die einheimische Produktion in der arabischen Welt zumindest teilweise und vermehrt an dem ausrichtet, was in der internationalen Kunstszene geschieht, und daß die Frage der ‚Authentizität‘ keine absolute Priorität mehr darstellt. Außerdem kann man – wie eingangs bereits gesagt wurde – von diesem Zeitpunkt an von einer globalen Kunstszene sprechen, die periphere bzw. regionale Kunstzentren miteinschließt. Zu dieser Entwicklung beigetragen haben sicherlich die international steigende Vernetzung sowie – auf intellektueller Ebene – die endgültige Krise des arabischen Nationalismus, aus welchem der Identitäts- und Authentizitätsdiskurs hervorgegangen war.

Arabische Künstlerinnen in der globalen Kunstszene

Seit die iranische Künstlerin Shirin Neshat in den letzten Jahren erfolgreich den ‚islamischen Schleier‘ auf internationaler Ebene künstlerisch thematisiert hat, ist dieser ein fester Bestandteil von Kunst von Frauen aus dem Nahen Osten geworden. Neshats Landsfrauen Ghazal oder Shadi Ghadirian, in jüngster Zeit in Pariser und Berliner Ausstellungen stark präsent, gebrauchen den iranischen Tschador als Symbol der Unterdrückung der Frau in ihrem Land – und finden dabei weiten Anklang beim europäischen Publikum, welches die orientalische Frau gerne vereinfachend als passives Wesen, ohne Willen und Kraft, als verschleiertes Opfer eines allmächtigen und grausamen orientalischen Machos sieht – ein Bild, das übrigens schon von der orientalistischen Malerei des 19. Jahrhunderts geprägt wurde. Die Allgegenwart der ‚Schleierdiskussion‘, wenn es im Westen um muslimische Frauen geht, spielt ebenfalls eine Rolle und führt hier lebende Künstlerinnen aus der arabischen und islamischen Welt dazu, die Frauenfrage durch die Symbolik des Schleiers zu visualisieren. So veranstaltete das Londoner Institute of International Visual Arts (inIVA) [14] 2003 bis 2004 eine Ausstellung mit dem Titel Veil, an der prominente Künstler aus westlichen und islamischen Ländern teilnahmen und die in mehreren englischen Städten gezeigt wurde. Das Thema der Ausstellung war der „Schleier“ als „Synonym für kulturelle und religiöse Unterschiede“. Hier ging es jedoch nicht nur um Ver- sondern auch um Entschleierung, wie etwa im Algerienkrieg, wo arabische Frauen von französischen Soldaten gewaltsam entschleiert wurden. [15] Der Schleier wird somit ein Symbol für die konfliktuellen Beziehungen zwischen Orient und Okzident, in welchen die Frauenfrage oft auch als Streitobjekt hochgespielt wird.

Das Thema ‚Frau ohne Worte, ohne Gesicht und ohne Persönlichkeit‘ findet sich auch bei einigen franko-maghrebinischen Künstlerinnen wieder, etwa bei Zinab Sedira (geb. 1963). Sedira, eine der Initiatorinnen der Veil-Ausstellung, zeigt sich selbst in ihrem Autoportrait ou la Vierge Marie (2000) als fast unsichtbare, sich kaum vom weißen Hintergrund abzeichnende, weiß verschleierte Frauengestalt. Indem sie den Schleier nicht nur als islamisches sondern – durch die Marienfigur – gleichzeitig auch als westliches Phänomen wahrnimmt, zeigt sie ihre doppelte, franko-algerische Zugehörigkeit. Die weiße Farbe erinnert nicht nur an die maghrebinische Frauentracht, die – im Gegensatz zur iranischen – weiß ist, sondern auch an die Idee der Frau als reine Jungfrau und somit als geschlechtsloses Wesen. [16]

Spielerisch-ironisch greift die aus Marokko stammende und in Paris lebende Majida Khattari (geb. 1966) das Thema ‚Schleier‘ auf. In ihren Modedefilees läßt sie völlig verhüllte Frauen über das Podium wandeln, so etwa im Voile républicain (Republikanischer Schleier), wo die französische Fahne als Stoff für das islamische Kleid dient. In einer Austellung mit dem Titel Tendance 2003, 2004 kleidete sie ein Model in eine Burka mit amerikanischer Flagge ein und nannte es La robe puissance (L’ Amérique selon Bush) (Das Grossmacht-Kleid – Amerika gemäß Bush). Eine weitere Burka, auf deren unterem Teil die Porträts von George Bush, Saddam Hussein, Tony Blair und anderen westlichen und arabischen Potentaten figurieren, trägt den Titel Le visage des dictateurs (Das Gesicht der Diktatoren).

Daß im Westen lebende Künstlerinnen aus arabischen oder islamischen Ländern jedoch auch ohne den Schleier in ihrer Kunst Fragen zu frauenspezifischen Themen darstellen können, zeigen die Arbeiten der in London lebenden Exil-Libanesin palästinensischer Abstammung Mona Hatoum oder der (derzeit noch) weniger bekannten palästinensischen Künstlerin Emily Jacir. Hatoum (geb. 1952) stellt die Frage der Frau in der Gesellschaft anders. Für sie ist das Verhältnis zum eigenen Körper, im Westen so distanziert, ein wesentlicher Teil ihrer Arbeit. [17] So zeigte sie in ihrem Video Measures of Distance (1988) ihre alternde Mutter nackt unter der Dusche, was zum Protest von Feministinnen führte. Als sie in Don’t Smile, You Are on Camera (1980) zeigte, wie Männer und Frauen im Alltag den Blickkontakt suchen, oder in einer Performance das Konkurrenzdenken unter Frauen analysierte, wurde ihr erneut vorgeworfen, ‚Macho-Arbeiten‘ produziert zu haben. [18] Ihr Blickwinkel ist, für einen Teil der Kritik, zu stark von ‚männlichen‘ Werten geprägt. Darauf erwidert die Künstlerin, die Frauenfrage sei für sie eher ein Mittel, um Themen wie Machtverhältnisse und Rassismus zu untersuchen und bloßzulegen; in Genderfragen als solchen findet sie sich nicht unbedingt wieder. [19] Für Hatoum sind die Fragen, die vom westlichen Feminismus gestellt werden, jene einer Wohlstandsgesellschaft, die von Frauen aus anderen Weltgegenden als reiner Luxus empfunden werden. Obwohl ihre Kindheit in Beirut und ihre palästinensische Herkunft ihr Selbstverständnis als Künstlerin geprägt haben [20] und sie in einigen Arbeiten den libanesischen Bürgerkrieg (Under Siege, Perfomance, 1982) oder die Intifada behandelt (etwa in Keffieh, 1993-1999, einer mit menschlichen Haarbüscheln geschmückten ausgebreiteten Keffieh), versteht sich Mona Hatoum, die seit 1975 im Westen lebt, auch nicht als ‚arabische‘ Künstlerin in dem Sinne, daß sie ihren Ursprung bewußt thematisieren würde.

Bei der im amerikanischen Exil lebenden Emily Jacir (geb. 1970), die unter anderem 2003 in der Istanbuler Biennale oder 2004 an der Liste in Basel ausstellte, spielt die Frage der palästinensischen Identität eine bedeutende Rolle. In From Paris to Riyadh (Drawings for My Mother) (1999-2001) hingegen thematisiert sie den weiblichen Körper und die Zensur, die gegen seine Darstellung in der Öffentlichkeit in Ländern wie Saudi-Arabien ausgeübt wird. [21] Als Jacir einmal mit ihrer Mutter nach Saudi-Arabien reiste, schwärzte diese alle entblößten weiblichen Körperteile, die in von ihr mitgebrachten westlichen Magazinen abgebildet waren, mit einem Stift, da diese ihr sonst bei der Grenzkontrolle entzogen worden wären. Diese geschwärzten Teile nackter weiblicher Haut hat Jacir als schwarze Formen auf mehrere A4-Blätter gemalt, nebeneinander aufgehängt und an verschiednen Orten ausgestellt.

Die hier besprochenen Künstlerinnen haben eines gemeinsam: Sie leben allesamt außerhalb der arabischen Welt, auch wenn sie sich zum Teil öfters dort aufhalten. Wie aber sieht es südlich des Mittelmeeres aus?

Noch Ende der 1980er Jahre war die lokale Kunstszene in der arabischen Welt fast inexistent. Es gab nur wenige Ausstellungsorte, kaum einen Markt, und die öffentliche Hand intervenierte nur sehr sporadisch in diesem Bereich. [22] Heute hat sich das vielerorts geändert, und zwar aus lokalen Entwicklungen heraus, die wenig mit der Globalisierung zu tun haben. Es existiert ein innerarabischer Kunstmarkt, wie es auch in der Region Sammler gibt, die sich auf arabische Kunst spezialisiert haben. Die 2002 im Pariser Institut du Monde Arabe gezeigte Kinda-Kunstsammlung, die Werke der bedeutendsten arabischen Künstler des 20. Jahrhunderts umfaßt, ist nur ein Beispiel von vielen. [23] Publizistische Initiativen wie das vor kurzem gegründete englischsprachige Canvas Magazine aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, das sich der Kunst in oder aus der arabischen Welt widmet, zeugen ebenfalls von dieser Vitalität. [24]

Dennoch hat die Globalisierung einen Einfluß, und zwar einen zweischneidigen, auf die Kunstszene arabischer Länder. Einerseits erlaubt sie einigen wenigen Künstlern, international wahrgenommen zu werden, was noch vor einem Jahrzehnt kaum denkbar war. Andererseits produziert sie einen unerwarteten Nebeneffekt: die Zweiteilung der Kunstszene. Wer Galerien und Ausstellungsorte in arabischen Ländern besucht, kommt nicht umhin festzustellen, daß die ausgestellten Werke sich zum größten Teil nicht der international gängigen Sprache bedienen, daß etwa kaum Videos und Installationen zu sehen sind, sondern meist Gemälde und Skulpturen, also eher traditionelle Genres. Dies mag daran liegen, daß es in der arabischen Welt bis heute keine Kunsthallen oder anderen Orte gibt, wo auch nichtkommerzielle Kunst ausgestellt wird, aber auch daran, daß das Publikum mit den neuen Medien in der Kunst noch nicht sehr vertraut ist. Obwohl sich beispielsweise die Townhouse Gallery [25| in Kairo um die Durchsetzung neuer Kunstgenres und eines neuen Kunstverständnisses bemüht, bleiben diese Produktionen in der Region selbst weitgehend marginal. So stellen international bekannte Künstler, die sich neuer Medien bedienen, wie das Beiruter Ehepaar Paola Yacoub und Michel Lasserre, das mit seinen Videofilmen und Diaschauen den libanesischen Bürgerkrieg und den darauffolgenden Wiederaufbau zu verarbeiten versucht, hauptsächlich im Ausland aus. [26]

Man kann also feststellen, daß im Bereich der arabischen bildenden Kunst heute neben einer Produktion, die für den einheimischen Markt bestimmt ist, eine solche existiert, die auf den internationalen Markt ausgerichtet ist. Diese unterscheiden sich deutlich in der verwendeten Technik, aber auch in den Sujets. Im allgemeinen muß bemerkt werden, daß politisches Engagement und kritische Fragestellungen in der für den lokalen arabischen Markt produzierten Kunst eher selten sind, was sicherlich auf die herrschenden politischen Verhältnisse zurückzuführen ist, aber vielleicht auch auf die Rolle, die der Kunst im allgemeinen zugesprochen wird. Die in arabischen Ländern produzierte und ausgestellte Kunst versteht sich eher als politisch ‚neutral‘ und beschäftigt sich – wenn sie nicht einfach dekorativ ist – vorwiegend mit persönlichen Fragestellungen, die oft verschlüsselt in träumerisch-symbolischer Art dargestellt werden. Oder aber sie experimentiert mit Formen, Farben und Materialien. Dies gilt für Männer wie auch für Frauen. Im Gegensatz etwa zur Türkei, wo eine Zahl von Künstlerinnen in ihren Werken spezifische Frauenthemen oft auch sehr provokativ angehen, ist dies im arabischen Raum kaum der Fall: Das Verhältnis zum eigenen Körper, zum Mann, zur Umwelt wird noch selten – und wenn, dann sehr indirekt – inszeniert.

Es wäre sicherlich falsch, daraus zu schließen, daß arabische Künstlerinnen, die in ihren Heimatländern leben, der ‚Frauenfrage‘ gegenüber verschlossen sind. Man sollte vielleicht eher auf das zurückgehen, was Mona Hatoum sagt: Die Fragen, die sich der westliche Feminismus stellt – auch in Bezug auf arabische Frauen – stehen für diese nicht immer im Vordergrund. Die Frage des ‚Schleiers‘, die in der westlichen Debatte über die Stellung der Frau in den islamischen Ländern so zentral ist, ist wohl eine dieser Fragen, die für Frauen aus der Region nicht die gleiche Priorität hat. Der Schleier ist demzufolge (faktisch) kein Thema in der Kunst: Manche Künstlerinnen, wie die Ägypterinnen Sabah Naim (geb. 1967) oder Amal Kenawy (geb. 1974), die beide in der Kairiner Townhouse Gallery ausstellen, tragen Schleier, thematisieren es aber nicht in ihren Arbeiten. Naim nahm 2003 an den Biennalen von Venedig und Havanna teil, und Kenawy stellte 2004 in Dakar aus. Für die beiden Künstlerinnen ist das Schleiertragen kein Hindernis für ihre berufliche Emanzipation, für kreatives Schaffen und für die Teilnahme an internationalen Ereignissen im Ausland. Der Schleier spielt eher bei Künstlerinnen, die im westlichen Exil leben, eine wesentliche Rolle. Dies wohl, weil er im Westen zum Symbol der Unterdrückung der Frauen in der arabischen und islamischen Welt geworden ist. Es ist beinahe so, als fühlten sich im Westen lebende Künstlerinnen aus dem Nahen Osten verpflichtet, auf dieses Symbol zu reagieren. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen. Bei Majida Khattari wird der Symbolcharakter, den der Schleier im Westen angenommen hat, hinterfragt. So ist der Republikanische Schleier, der die moderne laizistische französische Republik auf die gleiche Ebene mit dem islamischen Schleier stellt, im französischen Kontext sicherlich eine Provokation. Eher als zu einem Symbol der Unterdrückung wird der Schleier bei Khattari zum (ironischen) Integrationssymbol. Khattari, die sich durchaus als französische Muslimin versteht, will damit aussagen, daß auch praktizierende Musliminnen gute Französinnen werden können.

Die beiden iranischen Künstlerinnen Ghazel und Shadi Ghazirian stellen den Tschador, den iranischen Schleier, ins Zentrum ihrer Arbeit. Indem sie eine Frau filmt, die im Tschador Fahrrad fährt oder Fitness treibt, unterstreicht Ghazel die Absurdität dieser Kleidung, die in ihrem Land den Frauen per Gesetz vorgeschrieben wird. Shadi Ghazirian, die verhüllte Frauen zeigt, deren einzige unter dem Tschador sichtbare Körperpartie, das Gesicht, durch ein Haushaltsgerät ersetzt wird, stellt die Gesichtslosigkeit dar, den gesellschaftlich aufgezwungenen Mangel an Persönlichkeit. Man könnte sich fragen, ob die hier gezeigte Problematik allein eine islamisch-iranische ist, oder ob sie nicht auch verallgemeinert werden könnte. Und genau hier liegt, unseres Erachtens, das Risiko solcher im Endeffekt ‚exotisierender‘ Kunst: daß die Fragestellung vor allem von der westlichen BetrachterIn nicht als eine solche wahrgenommen wird, die auch sie bzw. ihn betrifft, sondern daß durch das fremde Element des ‚Schleiers‘ höchstens eine Empathie für die ‚leidenden‘ Frauen im Iran bzw. in der islamischen Welt hervorgerufen wird.

Fraglich ist demnach, ob dieser neue Trend zum ‚Anderen‘ wirklich auch zur besseren Kommunikation zwischen den Kulturen führt oder ob dadurch nicht eher – wohl gegen die Intention der jeweiligen Kunstschaffenden – Vorurteile und Klischees bestätigt werden.

 

 

[1] Vgl. dazu den Katalog: Hug (1997).

[2] Vgl. dazu Herzog (2000).

[3] Vgl. dazu Redalié u.a. (2005).

[4] David (1997), 12f.

[5] Vgl. dazu Fundació Antoni Tàpies (2002).

[6] Vgl. dazu Fundació Antoni Tàpies u.a. (2004).

[7] Vgl. dazu Naef (2003).

[8] Vgl. dazu Kreiser (1997).

[9] Vgl. dazu Baron (1994).

[10] Vgl. dazu Azar (1953).

[11] Sha`rawi (1981), 102.

[12] Vgl. dazu Nashashibi (1994).

[13] Vgl. Naef (2002), 229f.

[14] Für weitere Informationen siehe die Website des Instituts: http://www.iniva.org

[15] Vgl. http://www.universes-in-universe.de/islam/deu/2003/01/veil

[16] Vgl. Roy/Amiraux (2004), 66f.

[17] Vgl. Archer (2003), 8.

[18] Vgl. Archer (2003), 12.

[19] Vgl. Spinelli (2003), 141.

[20] Vgl. Spinelli (2003), 134.

[21] Vgl. Evrengil (2003), 123, sowie Rollig/Rückert (2004), 10f.

[22] Zur Kunstszene in der arabischen Welt bis 1990 vgl. Naef (1996), 319-338.

[23] Zu dieser Sammlung vgl. Alaoui u.a. (2002).

[24] Zum Canvas Magazine siehe die Website: http://www.mixed-media.com

[25] Für weitere Informationen siehe die Website der Galerie:
http://thetownhousegallery.com

[26] Zu den Arbeiten von Paola Yacoub und Michel Lasserre vgl. z. B. Yacoub/Lasserre (2002).

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Abb. 1: Shakir Hasan Al Sa‘id (Irak: 1926-2004): Irakische Frau, Öl auf Leinwand, 1950er Jahre. Foto: unbekannt.
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Abb. 2: Gazbia Sirry (Ägypten, geb. 1925): Mädchen mit Puppe, Öl auf Leinwand, 1952. Foto: S. Naef.
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Abb. 3: Majida Khattari: La robe puissance (L’Amérique selon Bush), 2003. Foto: M. Khattari
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Abb. 4: ‘Itab Hreib (Syrien, geb. 1954): Ohne Titel, Aquarell, 2001. Foto: unbekannt.
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Abb. 2: Gazbia Sirry (Ägypten, geb. 1925): Mädchen mit Puppe, Öl auf Leinwand, 1952. Foto: S. Naef.